Die Kita Windrad der KJA im Hermann-Löns-Viertel ist die bislang letzte neue Kita. Foto: Thomas Merkenich

In einer Stellungnahme geht die Stadtverwaltung auf die Kita-Krise ein, nennt aber bei den wesentlichen Punkten keine Vorschläge, die rasche Entspannung beim Betreuungsproblem bringen. Weder für akut von der Kita-Krise betroffenen Familien, noch bei der Trägerschaft. Hier fällt das Rathaus gar hinter Vorstöße von Bürgermeister Stein und Beigeordnetem Migenda zurück, die die Stadt als Kita-Träger ins Spiel gebracht hatten.

Keine Entspannung in der Kita-Krise in Sicht. Zwischen 500 und 800 Betreuungs-Plätze fehlen aus jetziger Sicht, es gibt zu wenig Kitas, Fachkräfte sind ebenfalls Mangelware und selbst Familien mit einem Kita-Platz müssen mit Betreuungsengpässen rechnen.

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Bau, Betrieb, Personalgewinnung drängen also, und all dies vor dem Hintergrund des Rechtsanspruches, den Kinder ab einem Jahr auf einen Betreuungsplatz haben.

Die Probleme sind lange bekannt, die Situation verschärft sich von Jahr zu Jahr. Jetzt bezieht die Stadt in einer ausführlichen Pressemitteilung zum „aktuellen Sachstand“ Stellung.

Trägerschaft und Bau

Der Gedanke, dass die Stadt selbst als Kita-Träger aktiv wird, wurde vor kurzem noch von Bürgermeister Frank Stein ins Spiel gebracht: Die Stadt müsse „ernsthaft“ über die Trägerschaft nachdenken, um den Bedarf flexibel und schnell zu decken. „Ich kann mir das vorstellen“, sagte der SPD-Politiker im BürgerClub des Bürgerportals.

Ähnlich hatte sich der Beigeordnete Ragnar Migenda Ende Februar geäußert: „Über den Bau und Betrieb einer Kita könnte auch die Stadt nachdenken“, machte er in einem Pressegespräch klar, wobei dies ein persönlicher Vorschlag sei, der bis dato weder mit der Verwaltung noch mit der Politik abgestimmt sei.

In der aktuellen Stellungnahme wird zunächst ein mehrgleisiges Ausbauprogramm vorgeschlagen, mit Interessenbekundungsverfahren für Investoren, der Prüfung bekannter Flächen bezüglich Baureife, der Nutzung der Modulbauweise – immer abhängig vom jeweils Machbaren auf individuellen Standorten.

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Bürgermeister Frank Stein bringt Stadt als Kita-Träger ins Spiel

Um die Kita-Krise mit knapp 800 fehlenden Plätzen zu lösen könne auch die Stadt als Träger fungieren. Das sagte Bürgermeister Stein im Gespräch mit dem Bürgerportal. Zudem seien Investoren künftig bei Neubauten in der Stadt gefordert, das Thema Kita mit einzuplanen. Das Thema Fachkräftemangel ist damit jedoch noch nicht gelöst.

Bei der Trägerschaft – eng mit dem Thema Bau verbunden – rudert die Stadt jedoch zurück: „Grundsätzlich gilt bei der Trägerauswahl das sogenannte Subsidiaritätsprinzip; sofern Angebote durch geeignete Einrichtungen und Dienste von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe, sprich die Kommune, von eigenen Maßnahmen absehen“, beschreibt Ragnar Migenda die Rechtslage.

Die Kommune sei Garant für die Bereitstellung der Kindertagesbetreuung im gesetzlich vorgeschriebenen Umfang. „In der Zukunft muss folglich genau geprüft werden, ob die Stadt als Betreiberin von Kitas aktiv werden muss und soll, um ihrer Pflicht laut Gesetz nachzukommen“, formuliert Migenda zurückhaltend.

Eine Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip – mithin eine Abkehr von Denkverboten – ist hier nicht herauszulesen.

Fachkräftemangel

Über eine Zustandsbeschreibung kommt die Stadt in der Stellungnahme beim Fachkräftemangel kaum hinaus. Kurzfristig nicht zu beheben, die Zusammenarbeit mit Land und Bund sei gefordert, neue und attraktivere Ausbildungs- sowie Berufseinstiegswege seien gefragt, so der Tenor.

Bedarfe würden ans Land gemeldet, das Kita-Sofortprogramm der Landesregierung erwähnt – freilich ohne konkrete lokale Auswirkungen. Zumindest wird kein Ergebnis der vor kurzem in Aussicht gestellten Prüfung des Sofortprogramms mitgeteilt.

Geplant sei eine kreisweite Info-Veranstaltung in Kooperation mit dem Landesjugendamt zum Themenkomplex „Personaleinsatz /-verordnung“ für Trägervertreterinnen und -vertreter, zudem die Teilnahme an Fachtagungen zum Thema Fachkräftemangel des Ministeriums sowie der Ausbau der bestehenden Kooperation mit dem ansässigen Berufskolleg.

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AWO-Kita Kunterbunt fährt Betreuungszeiten wieder hoch

Für das Familienzentrum in der Innenstadt hat die AWO neues Personal einstellen können, damit zeichnet sich eine Entspannung der Lage an, teilt der Träger mit. Der strukturelle Fachkräftemangel sei allerdings alles andere als gelöst, bei Engpässen müsse das Personal geschützt werden. Daher führt die AWO jetzt u.a. ein Ampelsystem ein. Die Stadt kündigt erneut „konkrete Pläne“ für Verbesserung des Platzangebots an.

In Bergisch Gladbach sei eine regionale Arbeitsgruppe zum Thema Fachkräftemangel sowohl für den Bereich Kindertagesbetreuung als auch Offene Ganztagsschule terminiert.  Hier seien die freien Träger sowie Vertreter aus der Elternschaft eingeladen.

Wann dies greift, und ob dies zu nennenswerten Zahlen von Fachkräften für die Kitas in der Stadt führt, bleibt offen.

Rechtsanspruch und Klage

Nichts Neues gibt es auch hinsichtlich des Rechtsanspruches auf einen Kita-Platz (U6) bzw. eine Tagespflege (U3). Dieser sei einklagbar, jedoch faktisch vom Vorhandensein eines bedarfsgerechten Platzes abhängig.

„Eine Klage gibt aber leider keine Garantie auf einen Betreuungsplatz“, erläutert Sabine Hellwig als zuständige Fachbereichsleiterin. Im Jahr 2022/23 seien neun Verfahren gegen die Stadt geführt worden.

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Rechtsanwältin klagt Kita-Platz ein und startet Webseite zur Elterninfo

Sabrina Fahlenbock klagt den Rechtsanspruch ihres Sohnes auf einen Betreuungsplatz bei der Stadt Bergisch Gladbach ein. Die Rechtsanwältin möchte Druck erzeugen, damit die Stadt in der Kita-Krise rasch zu einer Lösung kommt. Ihr juristisches Wissen stellt sie auch anderen Eltern zur Verfügung.

Klagende Eltern hätten Anspruch auf einen Aufwendungsersatz. Dabei handele es sich um die Erstattung der Kosten, die bei einer „selbst beschafften Hilfe“ entstanden sind, also um den Ersatz von entstandenen Kosten. Etwa wenn ein Betreuungsplatz in einer anderen Kommune gewählt würde.

Fehlende Betreuungsplätze

Stichwort Defizit: Hier bleibt die Stadt bei ihrer Schätzung von einem Defizit von „maximal“ 500 Plätzen. Nicht erwähnt werden rund 300 Kinder, die sich laut zuständigem Fachbereich auf der Warteliste befinden sollen, wie in einem Pressegespräch Ende Februar berichtet wurde.

Mutmaßlich liegt das Defizit höher, da die Bedarfe der Familien mit veralteten Zielquoten berechnet werden. Diese sollen laut Stadt auf Basis einer Umfrage demnächst überarbeitet werden.

Ursprünglich war dies für Anfang 2022 geplant, ein Zeithorizont für die tatsächliche Durchführung in diesem Jahr wird in der Stellungnahme nicht genannt.

Viele Fragen offen

Offen bleiben in der Stellungnahme zentrale Fragen:

Wie können alternative Lösungen für Familien mit akuten Betreuungsproblemen konkret aussehen? Hier lässt die Stadt – zumindest der Stellungnahme zufolge – die Eltern alleine. Sie verweist lediglich auf die Kostenerstattung für selbst organisierte Betreuung.

Zeithorizont: Wann die Planungen neuer Kitas in konkrete Baumaßnahmen führen könnte, bleibt offen. Dabei verfügt die Stadt mit den Sofortschulen bereits über konkrete Erfahrung in der Realisation entsprechender Projekte unter Hochdruck. Ob die Schulbau GmbH diese in den Kita-Bau einbringen kann oder soll, wäre eine Option, wird aber nicht erwähnt.

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Kapazitäten und Kosten: Offen bleibt auch, zu welchen zusätzlichen Kapazitäten die Planungen beim Bau führen könnten. Erste Kostenschätzungen zu den groben Mehrkosten für die Bauten fehlen ebenso.

Trägerschaft: Die Chance der Stadt, sich als Träger zu profilieren und mit kreativen, kurzfristig realisierbaren Konzepten die drängendste Not der Familien zu lindern, wird offenbar nicht genutzt.

Fachkräfte: Konkrete Ansätze zur Lösung des Fachkräfteproblems auf kommunaler Ebene sind nicht in Sicht. Das führt im Zweifelsfall zur Reduzierung von Betreuungszeiten – wenn auch nur vorübergehend. Kreative Ansätze wie das „Aachener Modell“ mit dem Einsatz von ungelernten Kräften sind nicht auszumachen.


Hinweis der Redaktion: Die gesamte Pressemitteilung „Aktueller Sachstand zur Situation in der Kindertagesbetreuung“ finden Sie auf der Website der Stadt Bergisch Gladbach.

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Holger Crump

ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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3 Kommentare

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  1. Wie an einigen anderen Stellen ein totales Versagen der Stadt. Seit langem werden Eltern vertröstet, der Vorschlag, die Stadt als Kita-Träger zu nutzen, wir mit der mehr als lahmen Begründung „Subsidiaritätsprinzip“, vom Tisch gewicht. Es werden Sachstände verbreitet, Möglichkeiten der Abhilfe genannt, alles ohne zeitliche Zielsetzung, man „müsste, sollte, könnte“ alles Mumpitz, und das seit vielen Jahren. Die formaljuristischen Ansprüche der Eltern werden völlig ignoriert, das Fachkräfteproblem ist überhaupt nicht angesagt, das Bürgerportal hat hier ja den Finger in all die Wunden gelegt. Lieber befassen sich Verwaltung, 1. Beigeordneter und Bürgermeister mit „Fahrradstraßen“ und anderem Unsinn wie wie den Planungen überdimensionierter Feuerwehr-Wachen an völlig falschen Orten. Es wird sehr viel Personal, das nun noch aufgestockt werden soll, für Dinge eingesetzt, die oft nur Teilinteressen dienen. Unsere Zukunft, die Kinder in Kitas und Schulen bleibt ganz dramatisch außen vor.

  2. „Keine Denkverbote“? Offenbar doch!
    Die Stadt kommt bei Kitas und OGS ihren Pflichten nicht nach. Sich hier auf das „Subsidiaritätsgebot“ zurückzuziehen, ist doch ziemlich schäbig und arrogant: Der Mangel ist offenkundig, und das seit vielen Jahren! Aber als Träger müsste die Stadt ja ihre Komfortzone verlassen. So bleibt es beim ausgestreckten Mittelfinger in Richtung Eltern und Kinder.