Um die Kita-Krise mit knapp 800 fehlenden Plätzen zu lösen könne auch die Stadt als Träger fungieren. Das sagte Bürgermeister Stein im Gespräch mit dem Bürgerportal. Zudem seien Investoren künftig bei Neubauten in der Stadt gefordert, das Thema Kita mit einzuplanen. Das Thema Fachkräftemangel ist damit jedoch noch nicht gelöst.
Es deutet sich eine Kehrtwende in Bergisch Gladbachs Jugendpolitik ab: Bis heute werden die Trägerschaft und der Betrieb von Kitas in der Stadt ausschließlich durch Wohlfahrtsverbände, Unternehmen oder Elterninitiativen übernommen. Die Stadt betreibt keine eigene Kita. Bis jetzt – denn das könnte sich ändern.
Vor dem Hintergrund von fast 800 fehlenden Plätzen geht Bürgermeister Frank Stein in die Offensive: Die Stadt müsse „ernsthaft“ über Trägerschaft nachdenken, um Bedarfe flexibel und schnell zu decken. „Ich kann mir das vorstellen“, sagte der SPD-Politiker im BürgerClub des Bürgerportals. Die FDP hatte sich zuvor in einer Umfrage des Bürgerportals ebenfalls dafür stark gemacht.
Das würde eine Aufweichung des strikten Subsidiaritätsprinzip bedeuten. Das besagt, dass die Kommune bestimmte Aufgaben delegieren kann, wenn sie durch freie Anbieter besser realisiert werden können. Bezogen auf Kitas sind dies Kirchengemeinden, Sozialverbände, Vereine, Elterninitiativen und Unternehmen. In punkto Kita-Plätze scheint das System nun an seine Grenzen gekommen zu sein.
Sie können den BürgerClub mit Frank Stein in der Aufzeichnung anschauen oder als Podcast anhören. In dieser kommunalpolitischen Halbzeitbilanz geht u.a. um die Misere der Schul-Gebäude, um die Sanierung der Straßen und die Klimawende. Das Thema Kita wird ab Minute 22 ausführlich diskutiert.
Bedarf komplett ausschreiben
Zwar sei er lange skeptisch gewesen, ob die Stadt bei Kita-Engpässen als Träger einspringen solle, erklärte Frank Stein im BürgerClub. Dies erfordere nicht zuletzt den Aufbau von Verwaltungsstrukturen für das Personal. Dennoch müsse man jetzt darüber nachdenken.
Zunächst müssten rasch weitere Kitas gebaut werden. Ein mögliches Modell dafür wäre laut Stein das serielle Bauen von Kitas – keine Container, sondern modulare Bauten, ähnlich wie jene, welche die Stadt derzeit für die Grundschulen als „Sofortschulen“ aufbauen lässt. „Pop-Up-Kitas“ hatten in der Bürgerportal-Umfrage neben CDU und FDP auch die Grünen ins Spiel gebracht.
Nach Ansicht von Stein sollte der gesamte Kita-Bedarf ausgeschrieben werden: „Wer hat Grundstücke, wer will selbst bauen, nicht Stück für Stück, sondern alles an den Markt geben. Und wir als Stadt sollten bereit sein selbst als Träger zu fungieren,“ bringt es der Bürgermeister auf den Punkt.
Investoren gefordert
Deutlich wird Stein auch in Richtung Investoren: Bei großen Wohnprojekten müsse die Stadt ihre privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Instrumente nutzen, um Investoren beim Thema Kita „in Verbindlichkeit“ zu bringen.

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Die Tatsache, dass die Projekte auf dem ehemaligen Steinbüchel-Gelände (Quartier 13) und an den Kalköfen ohne Kitas gebaut sei in der Nachbetrachtung „zumindest erstaunlich“, sagt Stein. Im Gegensatz dazu sind die Betreuungsmöglichkeiten und auch Grundschulen bei der Planung der nächsten Projekte (Wachendorff in Gronau und Zanders in der Innenstadt) ein fester Bestandteil.
Flaschenhals Ausbildung
Klar sei jedoch – mit dem Bau neuer Kitas habe man noch keine einzige zusätzliche Fachkraft, betont der Bürgermeister. Die klassische Ausbildung der Erzieher:innen sei der Flaschenhals, in der aktuellen Form wenig attraktiv. Die Anforderungen zur Aufnahme dieser Ausbildung seien mit Blick auf den gewaltigen Bedarf „arg sportlich“.
Bei einer Modernisierung der Ausbildung seien Bund und Länder gefragt. Mit der „Praxisorientierten Ausbildung“ (PIA) gebe es dafür ja bereits Ansätze.
AWO bildet Quereinsteigerinnen für Arbeit in Kitas aus
Für die Arbeit als Fachkraft in einer Kita kann man sich auch durch eine Externen-Fachprüfung qualifizieren. Beim AWO-Bildungswerk schließen gerade acht Personen diese Ausbildung ab – für einen neuen Kurs werden noch Interessent:innen gesucht.
Details noch offen
Wann die flexiblen Lösungen zur Bewältigung der Kita-Krise realisiert werden könnten, ist derzeit noch offen. Zunächst hatte sie der Beigeordnete Ragnar Migenda ins Gespräch gebracht. Im Jugendhilfeausschuss am Donnerstagabend stellte die Verwaltung die Sachlage dar, ließ aber konkrete Details zu kurzfristigen Initiativen wie Pop-Up-Kitas offen.
Offen ist auch, wo diese Bauten realisiert werden können, wie viele Kapazitäten hierdurch entstehen und wie die Stadt als Träger entsprechende Fachkräfte gewinnen will. Entsprechende Fragen des Bürgerportals will die Stadtverwaltung am Mittwoch in einer Pressemitteilung beantworten.
Städtische Kindertagesstätten haben wir schon in unserem Wahlprogramm vor drei Jahren festgehalten:
„Bisher ist die Stadt Bergisch Gladbach im Betrieb von Kindertageseinrichtungen auf private Träger angewiesen. Wir GRÜNE setzen uns für die Schaffung kommunaler Einrichtungen ein, um das bestehende Angebot sinnvoll ergänzen zu können. So können wir den eigenen Gestaltungsraum nutzen und eine Vorreiterrolle in Bezug auf Betreuungsqualität, Ernährung und Öffnungszeiten übernehmen. Des Weiteren wollen wir die Ausbildung von Erziehungspersonal fördern und frisch ausgebildete Fachkräfte auch in städtischen Einrichtungen eine interessante berufliche Perspektive aufzeigen.“
Woher stammt denn die Zahl von fast 800 fehlenden Plätzen. Die Stadtverwaltung gibt 416 fehlende Plätze an. Bei aller Dramatik der derzeitigen Situation sollte das Bürgerportal doch bei den Fakten bleiben.
Sehr geehrter Herr Krell, wir bleiben bei den Fakten.
In der Vorlage 0057/2023 der Stadtverwaltung heißt es: „Die Gesamtsumme der fehlenden Plätze beläuft sich somit im KG-Jahr 23/24 auf 416. Rechnet man darüber hinaus die Plätze mit ein, die aufgrund von bereits eingeplanten Überbelegungen (vgl. Tab. 4) angeboten werden können, erhöht sich der Mangel an Betreuungsangeboten auf 496 Plätze.“
Hinzu kommen (ebenfalls nach Angaben der Stadt) rund 300 Kinder, die bereits jetzt auf der Warteliste stehen. Demnach in der Summe also rund 800 Plätze. Oder, wie wir es zuvor etwas zurückhaltender formuliert hatten, „deutlich mehr als 700“.
Mindestens. Denn wenn man nun noch berücksichtigt, dass der tatsächliche Bedarf höher ist als die inzwischen veralteten Zielquoten, ergibt sich ein noch höheres Defizit.
Das haben wir mehrfach so berichtet und diskutiert, ohne Widerspruch aus der Verwaltung, oder von Bürgermeister Frank Stein.
https://in-gl.de/2023/03/09/kita-krise-lokale-politik-fordert-neues-denken-und-investitionen-bergisch-gladbach/
https://in-gl.de/2023/02/24/ueber-700-kita-plaetze-fehlen-in-gl-denkverbote-gibt-es-nicht/
Möglicher Weise zeichnen sich aktuell tatsächlich Lösungsmöglichkeiten zum Beheben des o.a. Personalmangels ab. Mein Schwiegertochter in Berlin war im Einzelhandel beschäftigt und verlor wegen Geschäftsaufgabe ihre Anstellung. Sie schulte auf Erzieherin um und arbeitet heute in einer Kita.
Angeblich werden 4.000 vermutlich überwiegend weibliche Arbeitskräfte im Zusammenhang mit der Galeria-Insolvenz keine vergleichbare Anstellung mehr erhalten. Wenn man nun noch davon ausgeht, dass dieser Personengruppe der Umgang mit Menschen jeden Alters vertraut ist, wäre es doch eine echte Win-Win-Situation, ihnen
attraktive Umschulungsangebote in Richtung Kitaerzieher/in zu unterbreiten.
Ich weiß zwar nicht, wie eine Brücke zwischen den Kita-Trägern und den Galeria-Freigestellten für unsere Region praktisch hergestellt werden könnte, aber vielleicht findet sie sich ja.
Gut dass sich der Bürgermeister persönlich der Sorge annimmt. Doch was nützt es, selbst wenn ein Platz gefunden wird finden sich Bürger die wissen, wie man das Vorhaben zunichte macht. Kinder besitzen nun mal keine Priorität. Leider !
Ich kann Ihnen leider nicht widersprechen! Straßenbau hat für viele Bürger wesentlich mehr Priorität als Kitas und Schulgebäude. Die Politik reagiert entsprechend. Die Bürger sind schließlich Wähler. Kinder nicht. Für mich absolut unverständlich!
Nicht nur Straßen, sondern auch Wiesen. Man möge an Lückerath zurückdenken, wo eine Kita an einem wunderbaren Platz für Kinder hätte gebaut werden können mir kleinem Park nebenan.
Aber eine Blumenwiese war wichtiger als die Kinder.