Die Notunterkünfte in Bergisch Gladbach sind seit vielen Wochen überfüllt. Jeden Monat kommen 20 bis 30 weitere Menschen hinzu. Daher will die Stadt jetzt das ehemalige Bürogebäude des Lübbe-Verlags in Heidkamp kaufen und für 100 Flüchtlinge herrichten, die möglichst schon im Januar einziehen sollen.
Zeltstädte, Turnhallen oder Container-Lösungen hatte Bürgermeister Lutz Urbach ausgeschlossen. Ziel sei es, die Flüchtlinge mit festem Dach und Wänden zu versorgen. Derzeit bringt der Fachbereich Soziales 313 Flüchtlinge unter, hinzu kommen 80 Menschen ohne Unterkunft. Und das bei eigentlich nur 250 Plätzen, über die die Stadt offiziell verfügt.
Etwas Luft – und eine gute Investition
Der Kauf des seit fünf Jahren leerstehenden Lübbe-Gebäudes in der Scheidtbachstraße soll jetzt für etwas mehr Luft sorgen – und sich langfristig für die Stadt Bergisch Gladbach als gute Investition erweisen, erläuterte SEB-Vorstand Bernd Martmann bei einer Ortsbesichtigung. Der Verwaltungsrat des städtischen SEB beschloss am Donnerstag einstimmig den Kauf, der zuständige Ratsausschuss soll am 11. September grünes Licht geben.
Der Stadtentwicklungsbetrieb kauft die insgesamt 6000 Quadratmeter große Immobilie für – inoffiziell – 2 bis 2,3 Millionen Euro von der Eigentümergemeinschaft der Familie Lübbe. Die Hälfte des Gebäudes entlang der Senefelderstraße (siehe Karte unten) wird auf vier Geschossen komplett entkernt und für rund 1,2 Millionen Euro umgebaut. Anschließend vermietet der SEB das Gebäude zu einem marktüblichen Preis an den Fachbereich Jugend und Soziales. (Mehr zu den finanziellen Hintergründen des Kaufs in diesem Beitrag.)
Wo bislang Büros sind, entstehen Einzel- und Familienzimmer mit 15 bis 35 Quadratmetern Fläche, auf jeder Etage zudem eine Gemeinschaftsküche, ein Gemeinschaftsraum und Waschräume. Im Untergeschoss zieht ein Hausmeister ein, der auch als ständiger Ansprechpartner dient. Der Parkplatz vor dem Gebäude an der Senefelder Straße soll als Freifläche hergerichtet werden.
100 Flüchtlinge an einem Ort sind machbar – aber mehr geht nicht
Martmann schließt zunächst einmal aus, dass in der Scheidtbachstraße später noch mehr als 100 Flüchtlinge untergebracht werden. Damit sei bereits eine Grenze dessen erreicht, was sinnvoll erscheint – Massenunterkünfte wolle niemand. Eine Unterbringung von vielen verschiedenen Nationen auf engem Raum sei nie unkompliziert, aber mit etwa 25 Bewohnern pro Etage könne man eine ordentliche Unterbringung gewährleisten.
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Aber zunächst geht es um die akute Notsituation – und weder Martmann noch Schlich gehen davon aus, dass sich die Flüchtlingssituation in den nächsten zwei oder drei Jahren grundlegend verbessert. Deshalb gehen ihre Überlegungen schon jetzt weit über das Lübbe-Haus hinaus.
Lesen Sie mehr: Ein Dach für die Flüchtlinge, eine Investition für die Stadt

Derzeit liegen entlang der Flure Büros. Die vier Etagen sollen komplett entkernt und neu aufgeteilt werden.
Es gebe konkrete Projekte, doch die seien noch nicht spruchreif, sagt Martmann. Zunächst werde man nach weiteren Gewerbeobjekten suchen, danach nach Gewerbehallen – und schließlich auf Turnhallen zurückgreifen müssen: „Was bleibt uns anderes übrig? Wenn wir uns in einer Krisensituation befinden, müssen wir handeln und diese Menschen in Not unterbringen.”
„Wir hoffen auf die Akzeptanz der Anwohner“
Proteste von Anwohnern erwartet die Stadtverwaltung nicht. Das Gebäude liegt am Rande des Gewerbegebietes Zinkhütte, die Bebauung ist nicht allzu dicht, die nächsten Wohnhäuser an der Scheidtbachstraße sind knapp 100 Meter entfernt.
„Wir hoffen auf die Akzeptanz in der Bürgerschaft und werden eine Bürgerinformation anbieten, bevor die Unterkunft mit Flüchtlingen belegt wird”, sagte Beate Schlich, die als Fachbereichsleiterin Jugend und Soziales für die Versorgung der Flüchtlinge zuständig ist.
Bereits jetzt stehe die Pressestelle der Stadt (Telefon 02202 142419, Mail pressebuero@stadt-gl.de) für Fragen zur Verfügung.
Debattieren Sie das Thema in der offenen Facebookgruppe „Politik in Bergisch Gladbach”. Dort ruft Bürgermeister Lutz Urbach dazu auf, zu überlegen, wie die Bergisch Gladbacher gemeinsam „eine freundliche Begleitung“ für die Flüchtlinge organisieren können.
Allerdings gibt es nicht nur in den Wohnhäusern Anwohnern, sondern im angrenzenden Gewerbegebiet Hüttenstraße/Zinkhütte einige große und kleine Gewerbebetriebe. Allen voran Krüger, der dort gerade seine neue moderne Kaffeerösterei fertig stellt.
Das Schulzentrum Ahornweg befindet sich in fußläufiger Nähe, ebenso die Supermärkte Netto und Kaufland; die Gemeinschaftsgrundschule Heidkamp ist allerdings etwas weiter entfernt.
Insgesamt besitzt die Stadt sechs Unterkünfte in den Stadtteilen Gronau, Herkenrath, Schildgen, Moitzfeld und in der Innenstadt. Darüber hinaus wurden in den vergangenen Monaten aber auch Hotelappartments angemietet.
Im vergangenen Jahr hatte die Stadt für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge 2,03 Millionen Euro aufgebracht, für 2014 rechnet sie mit 50 bis 75 Prozent mehr. (Alle Details zur Kostenbelastung in diesem Beitrag.)
In Bergisch Gladbach leben inzwischen Flüchtlinge aus mehr als 30 Ländern, was die Mitarbeiter der Stadtverwaltung vor riesige Herausforderungen stellt. Zwar ist man von den Verhältnissen der 90er Jahre noch weit entfernt, als rund 1000 Asylbewerber und Aussiedler versorgt werden müssen. Aber die Verhältnisse sind oft sehr kompliziert.
Mehr Personal für die Betreuung der Flüchtlinge
So berichtet Beate Schlicht von einer Gruppe von Flüchtlingen aus Eritrea, darunter auch ein unbegleiteter Jugendlicher, die keinerlei Fremdsprachen außer ihrer Landessprache beherrschten.
Um auch hier etwas mehr Luft zu schaffen stellt die Stadt in den nächsten Wochen weiteres Personal ein, Hausmeister und Sozialarbeiter. Zudem haben die Wohlfahrtsverbände angeboten, bei der Betreuung der Flüchtlinge in der Scheidtbachstraße mitzuhelfen.
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