Foto: Projekt „Being Refugee"

Angekommen in Mülheim. Und nicht angekommen. Foto: Projekt „Being Refugee”

Eigentlich sollte „Being Refugee” ein Fotoprojekt werden, in dem Flüchtlinge ihren Blick auf ihre Umwelt, ihren Weg durch verschiedene Camps, ihre neu gewonnen Freunde usw. darstellen sollten. Das ist es natürlich immer noch.

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Aber meine Rolle hat sich verändert. Plötzlich bin ich Sozialarbeiter und emotionaler Beistand in Konfliktsituationen. Ich erhalte fast jeden Tag Telefonanrufe, empfange Heimwehkranke (damit ist ihr Heimweh nach Bergisch Gladbach gemeint), die ihr altes Camp und vor allem das Personal besuchen wollen.

Anmerkung der Redaktion: Der Autor hat mit der ersten Gruppe von Flüchtlingen, die rund zwei Monate in der Turnhalle Sand gelebt hatten, ein Fotoprojekt gestartet. Seitdem die 78 Menschen in andere Städte verwiesen wurden hält er Kontakt.
Mehr Infos: Facebook-Seite „Being Refugee”, Hintergrund zum Fotoprojekt, alle Beiträge zur Turnhalle Sand

Ich habe Gespräche mit der Stadtverwaltung Mülheim wegen der Finanzierung eines Zahnersatzes, verschenke ein gespendetes Smartphone, kümmere mich um einen jungen Schwulen aus Syrien, der schon einige böse Mobbing- und Bedrohungserfahrungen hinter sich hat.

Die junge Sozialarbeiterin Jacqueline Lahy aus Duisburg (sie wohnt nur ein paar km von den Camps entfernt) unterstützt mich und wurde von den Flüchtlingen sofort ins Herz geschlossen, als ich gestern mit ihr “unsere” Bergisch Gladbacher Erstbelegung besuchte.

Angekommen – und zum Nichtstun verurteilt

Foto: Projekt „Being Refugee"Foto: Projekt „Being Refugee"

Foto: Projekt „Being Refugee”

Nach der Zwischenstation Neuss, die von vielen als „Knast” empfunden wurde, sind sie jetzt über ganz NRW verstreut. Allerdings leben die meisten in zwei verschiedenen Einrichtungen in Mülheim a.d.R.

Nach meinem Eindruck fühlen sich die meisten dort im Rahmen des Möglichen wohl, sehnen sich aber zurück nach Sand und sehen mit ambivalenten Gefühlen in eine ungewisse Zukunft. Es scheit jetzt  -nach zum Teil abenteuerlicher und auch lebensgefährlicher Flucht – der Punkt gekommen zu sein, wo sie zur Ruhe kommen, nachdenklich werden, ihre Familien vermissen und wie bisher nichts zu tun haben.

In allen sechs Flüchtlingscamps, die ich bisher kennenlernen konnte, zeigt sich sich dasselbe Bild. Menschen, die zu jeder Tageszeit in ihren Betten dösen und schlafen. Ein wirklich trostloser Anblick.

Sprache, Sprache, Sprache – von Anfang an

In der Einrichtung Gustavstraße in Mülheim traf ich einen Syrer, der das übliche Englisch beherrschte, aber auch sehr gut Deutsch sprach. Er war Sprachlehrer in Syrien und erteilt jetzt im Camp Sprachunterricht.

Es ist ein Riesenfehler, der sich möglicherweise nie wieder reparieren lässt, dass man auf systematischen Deutschunterricht in den Camps verzichtet. Die Motivation der Leute ist groß, sie versuchen zum Teil mit Hilfe ihrer Smartphones und Übersetzungsprogrammen zu lernen.

Vorbild Sand

Bei allen Kosten, die das Flüchtlingsproblem verursacht, wäre eine Investition in Sprachwerwerb vermutlich die ertragreichste. Statt dessen lungern die Leute monatelang untätig in ihren Camps.

Es gibt Camps, wie Bergisch Gladbach-Sand, wo man das erkannt hatte und systematischen Deutschunterricht anbot. Aber es fehlt die systematische Förderung und Finanzierung.

Hartmut Schneider, geb. 1946. Geboren und aufgewachsen im Bergischen Land. Gearbeitet, studiert und gelebt in Köln. Seit 1983 wohne ich in Bergisch Gladbach. Fotografiebegeistert seit dem 10. Lebensjahr, als eine Agfa Box auf dem weihnachtlichen Gabentisch lag. Als Lehrer habe ich 35 Jahre analoge und...

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