Petra Hemming, Vorsitzende des Ganey Tikva-Vereins, mit Chaya Tal

Petra Hemming, Vorsitzende des Ganey Tikva-Vereins, mit Chaya Tal

Der Ganey Tikva-Verein hatte Besuch aus Israel, eine „Siedlerin“ aus dem Westjordanland, Bloggerin und und bekennende Aktivistin. 

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Mit vielen Vorurteilen waren die Besucher gekommen: Eine „Siedlerin“ aus dem Westjordanland, eine Bloggerin dazu und bekennende Aktivistin. Man war – gelinde gesagt – gespannt!

Chaya Tal, 27 Jahre jung und doch bereits ein überaus vielfältiger Lebenslauf, machte uns innerhalb von 2 ½ Stunden sehr nachdenklich … und überzeugte uns, dass es nicht DIE große Lösung gibt für eine ziemlich schwierige Situation, sondern viele kleine alltägliche Lösungsversuche im alltäglichen Miteinander. Ihr erklärtes Ziel: Den Menschen in dem umstrittenen Gebiet eine authentische Stimme geben. Nicht „über“, sondern „mit“ den Menschen reden.

Trotz einer sehr kurzfristigen Einladung waren spontan mehr als 20 Interessierte der Einladung des Ganey Tikva Vereins gefolgt, einen Abend mit „der Siedlerin“ Chaya Tal zu verbringen und ihren Blick auf die Situation in Judäa und Samaria zu werfen und auf die sogenannte Siedlungsproblematik.

Schon die Vita der jungen Referentin war für alle sehr erstaunlich: Geboren vor 27 Jahren in Leningrad kam sie 1999 als „jüdischer Kontingentsflüchtling“ nach Köln. Nach ihrem Abitur wanderte sie nach Israel aus („jüdische Menschen sollten in Israel leben“).

Es folgten zwei Jahre Militärpflichtdienst bei der Presseabteilung der Armee – mit dem Fokus auf deutsche Medien. Der Schritt zur Freelance-Journalistin und Bloggerin über das jüdische Leben war nicht weit. Sie arbeitet für die ARD (mit einem Beitrag über 50 Jahre israelisch-deutsche Beziehungen), für den Bayerischer Rundfunk, und u.a. für die Zeitschrift Cicero, für das ACHAVA-Festival in Erfurt und für die 20.Sächs. Israelkonferenz. Ein Beitrag über sie im SPIEGEL bescherte ihrem Blog  eine ungeahnte Aufmerksamkeit.

Nach der Entführung in Gush Etzion 2014 initiierte sie ein Gedenk-Projekt, das heute zu einem vielbesuchten Anlaufpunkt geworden ist, und engagiert sich intensiv als Aktivistin bei Koexistenz-Projekten. Alles in allem ein reicher Fundus, aus dem sie schöpfen kann.

Chaya Tal argumentiert sehr Fakten-orientiert. So galt auch der erste Teil ihres Vortrags den geographischen Gegebenheiten und dem historischen Hintergrund:

Die beiden Regionen Judäa und Samaria, in den westlichen Ländern auch Westjordanland oder Westbanks genannt, nehmen 20,7 % der Gesamtfläche Israels ein. Dort leben rund 2 ½ Millionen Menschen, davon ca. 2 Mio Palästinenser. Von der israelischen Bevölkerung wohnen 60 % in größeren „Siedlungsblöcken“ – davon 4 Städte-, der Rest in kleineren Gemeinden. Die meisten von ihnen führen ein urbanes Leben mit der ganzen Vielfalt an Berufen. Die religiöse Ausrichtung ist national-religiös, säkular oder auch ultra-orthodox.

Das Gebiet befindet sich seit dem Sechs-Tage-Krieg (seit ca.51 Jahren) unter Militärverwaltung. Nach dem Osloer Abkommen 1995 (Oslo 2) erfolgte die Aufteilung der Verwaltungsgebiete zwischen der PA (palästinensische Autonomiebehörde) und der IDF (Israelisches Militär). Es existieren 3 unterschiedliche Zonen:

  • Zone A: Sicherheits- und Zivilverwaltung der PA. Hier gibt es keine israelischen Ortschaften. Der Zutritt für Israelis ist verboten. Hier liegen die großen Städte wie Bethlehem und Ramallah.
  • Zone B: Sicherheitsverwaltung der IDF, Zivilverwaltung der PA.
  • Zone C: Sicherheits- und Zivilverwaltung durch die IDF und die israelische Regierung. Hier liegen die jüdischen Ortschaften.

Hebron hat einen besonders definierten Status: Es gibt eine Aufteilung in H1/H2 nach dem Hebroner Abkommen von 1996. H1: Verwaltung der PA. H2: Verwaltung der IDF. Hier liegt das Jüdische Viertel. Ein blutiges Attentat eines Fanatikers an palästinensischen Besuchern am Grab des Patriarchen (Heiliger Ort beider Seiten) hatte diese Regelung nötig gemacht.

Exemplarisch am Ort Gush Etzion südlich von Jerusalem und Bethlehem zeigte sie die historische Entwicklung der Besitzverhältnisse auf: Der bereits 1927 gegründete Ort wurde bereits 2 Jahre später bei den Pogromen zerstört. 1933 gab es einen Neubeginn – ein jüdischer Kaufmann hatte das Gebiet erworben. 1936 wurde der Ort neuerlich im Zuge der arabischen Unruhen zerstört.

Der 1943 zum 3. Mal aufgebaute Ort wurde 1947/48 belagert und dann von den jordanischen Truppen zerstört – mit allen Folgen eines Krieges für die Bevölkerung. Seit der erneuten Rückkehr 1967 beherbergt die Region heute wieder 16 Ortschaften mit rund 23.000 Einwohnern.

Was sind die Gründe dafür, dass zunehmend „israelische Siedlungen“ in Judäa und Samaria entstehen? – Das erklärt sie an erster Stelle mit einem klaren Sicherheitsnutzen: Sichere Außen-Grenzen und die Kontrolle über das Gebiet, aus dem heraus in der Vergangenheit immer wieder Anschläge verübt wurden.

Es gibt einen weiteren pragmatischen Grund: Den des „Territorialnutzens“: Das Gebiet bietet zusätzlichen Raum für Arbeitsplätze und Wohnungen. Die beiden weiteren Gründe sind Ideologischer Natur: Nach dem national-politischen Zionismus ist hier die historische Heimat der Juden („Judäa“).

Für religiöse Juden ist hier „das Gelobte Land“, in das das jüdischen Volk aus dem Exil entsprechend der Heiligen Schriften zurückkehren könne. Für Chaya Tal ist es eine Mischung aus all diesen Gründen, die der Siedlungsbewegung zugrunde liegen.

Den Lesern dürfte aufgefallen sein, dass wir einige Begriffe in Anführungszeichen setzen … oder auch ungewohnte verwenden!

Chaya Tal hat uns dafür sensibilisiert, wie sehr die Wortwahl die Einstellung nach und nach prägt: Siedlungspolitik oder Bewohnung? Siedler oder Bürger? Westjordanland oder Judäa und Samaria? Friedenshindernis oder Teil der Realität? Besetzt oder verwaltet? Es schwingt immer eine ganze Ideologie mit – je nachdem, welches Wort man wählt und nach und nach in den Köpfen verankert.

Die jungen Frauen auf dem Siegerpodest sind „Siedlerinnen“ – haben wir sie uns SO vorgestellt? Zumindest nicht VOR Chayas Vortrag.

Eines haben wir gelernt: Die Situation im sogenannten Westjordanland ist oft explosiv, die Besitzverhältnisse und der völkerrechtliche Status sind jedoch klarer definiert als das oft kolportiert wird. UND es gibt einige Bemühungen der Menschen vor Ort auf beiden Seiten, aus dem Neben- und Gegeneinander in kleinen Schritten ein Miteinander zu machen, statt einer großen, von oben verordneten Lösung.

Eine solche Bewegung ist „Roots“, der auch Chaya angehört. Erschwert werden diese Bemühungen jedoch dadurch, dass sich die palästinensischen Bewohner nicht offen zu solchen Bewegungen bekennen dürfen. Chaya ist jedoch zuversichtlich, dass hier der „stete Tropfen“ etwas bewirkt … und das man einfach Zeit und viel Geduld braucht.

Das Chaya ausgerechnet an ihrem 27. Geburtstag zu uns nach Bergisch Gladbach gekommen ist, war für die Anwesenden Grund genug ein jiddisches Geburtstagslied anzustimmen. Gerne haben wir Chayas Einladung angenommen sie bei unserer nächsten Begegnungsreise nach Israel in ihrem Wohncontainer in der Siedlung Gush Etzion zu besuchen: Chayas Heimat Judäa und Samaria liegen auf dem Weg

„Von den Golanhöhen zur Negev-Wüste“ – so heißt die Reise, die der Ganey Tikva Verein vom 29.4. bis zum 6.5.2019 veranstaltet. Hierzu gibt es bald nähere Informationen.

Der Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Ganey Tikva – Bergisch Gladbach e.V. ist zu erreichen über die Vorsitzende Petra Hemming, per Mail: petra.hemming@gmail.com

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