Zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar erinnert Roman Salyutov in einem Vortrag an deutsch-jüdische Musiker und Intellektuelle. Angesichts der Massenmorde der Nazis fanden viele Assimilierte zurück zu ihren jüdischen Wurzeln. Wie der Komponist Viktor Ullmann, der im KZ Theresienstadt Werke zu jüdischen Texten und Musiken komponierte. Bevor er in Auschwitz ermordet wurde. Einige seiner Werke erklangen jetzt im Albertus-Magnus-Gymnasium.
Vor 80 Jahren planten die Nationalsozialisten auf der Wannsee-Konferenz den Mord an Millionen Menschen. Anfang 1945, wurden die Überlebenden von den Alliierten aus den Konzentrationslagern befreit.
In den Jahren dazwischen kamen Menschen wie der österreichische Komponist Viktor Ullmann grausam ums Leben. Der Pianist, Dirigent und Musik-Manager Roman Salyutov erinnert jetzt zum Holocaust-Gedenktag an diesen großen Komponisten.
Stellvertretend für die vielen jüdische Künstler und Kreativen sowie für die Millionen Opfer, die nicht der Vernichtungsmaschinerie der Nazis entkommen konnten. Mit einen Vortrag und einem Konzert im Albertus-Magnus-Gymnasium.

Deutsch-jüdische Patrioten
Unter den Opfern waren viele, die sich längst assimiliert wähnten. Salyutov spannt in seinem Vortrag den Bogen zurück zu Moses Mendelssohn, Philosoph der Aufklärung, Großvater des Komponisten Mendelssohn Bartholdy. Moses Mendelssohn gilt als Wegbereiter jüdischen Aufklärung und auch der Annäherung zwischen Juden und Christen in Europa, die im 18. Jahrhundert in Deutschland und Europa entstand.
„Diese Annäherung an die Gesellschaft ging in Teilen damals so weit, dass Gottesdienste statt auf Hebräisch auf Deutsch gehalten wurden“, berichtet Salyutov. „Vertreter des liberalen Judentums haben selbst den jüdische Ruhetag, der Sabbat, von Samstag auf Sonntag verlegt.“
Diese Sehnsucht nach Normalität mündete über die Jahrzehnte in weitestgehender Assimilation der jüdischen Deutschen, gipfelte in Patriotismus und Militarismus während des ersten Weltkrieges. Rund 100.000 deutsche Juden sollen laut Salyutov in den Jahren 1914 bis 1918 auf Seiten des Deutschen Reiches gekämpft haben.
Die Anpassung reichte tief. Salyutov zitiert den damaligen Minister Walter Rathenau: „Meine Heimat und meine Sprache ist Deutsch, mein Judentum ist Privatsache.“
Assimilation: Eine Illusion
Dabei war die Haltung offenkundig nur einseitig. Als Beispiel führt Salyutov Mendelssohn Bartholdy an, der schon Ende des 19. Jahrunderts von Richard Wagner in dem Traktat „Das Judenthum in der Musik“ zerrissen worden war. Wagner soll eine Symphonie des Komponisten mit Handschuhen dirigiert haben, um das Papier der „jüdischen“ Komposition Mendelssohns nicht anfassen zu müssen.
Die Assimilierung deutscher Juden, so Salyutov, entpuppte sich als Illusion, als trügerische Sicherheit. Spätestens mit dem Auftreten der Nationalsozialisten. Denn die Mördertruppe schaute in die Vergangenheit, auf die Familien der Deutsch-Juden. Wer jüdische Wurzeln hatte, galt als Jude. Mit allen Konsequenzen.


Besinnung auf jüdische Wurzeln
Was machte das mit den Opfern? Es führte zu einer Rückbesinnung der assimilierten Juden auf ihre Wurzeln, so Salyutovs These. Zu einer Rückkehr zu Traditionen, dem Glauben, der Sehnsucht nach einer Heimat. „In der Krisensituation erwacht das Bewusstsein für die eigenen jüdischen Wurzeln“ fasst Salyutov zusammen.
Salyutov nennt als Beispiel den Philosophen Theodor Adorno, der in einem jüdischen Elternhaus katholisch getauft wurde. Nicht sein assimilierter Vater, sondern Hitler habe ihn zum Juden gemacht, hatten Zeitgenossen beobachtet.
Der Komponist Arnold Schönberg, ebenfalls christlich getauft, emigriert in Folge der Nürnberger Rassengesetze nach Paris, wo er zum Judentum zurückkehrt.
Viktor Ullmann
Und Viktor Ullmann. Der österreichische Komponist und Pianist starb am 18. Oktober 1944 in den Gaskammern des größten deutschen Vernichtungslagers. Zwei Tage nachdem er von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert worden war.
Auch Ullmann ist assimiliert. Seine Eltern, beide aus jüdischen Familien, waren vor seiner Geburt bereits zum katholischen Glauben konvertiert. Ullmanns Vater diente als assimilierter Jude im Ersten Weltkrieg als Berufsoffizier, wo er zum Oberst befördert worden war.
Das galt nichts in den Augen der Nationalsozialisten. Im Lager Theresienstadt wurde er seit dem 8. September 1942 interniert. Gemeinsam mit weiteren tschechischen Künstlern mit jüdischen Wurzeln, die seit dem Einmarsch der Nazis unter Berufsverbot und Verfolgung gelitten hatten.
Theresienstädter Werke
Dort, in Theresienstadt, hat Ullmann trotz widrigster Umstände an seinen Kompositionen gearbeitet. Darunter viele Lieder, die zum Fokus seines Schaffens gehören. „Unser Kunstwillen war unserem Lebenswillen adäquat“, soll er über die kreative Arbeit in Theresienstadt gesagt haben.
Hier wandelt sich seine Haltung, „wie bei Adorno“, macht Salyutov klar. Ullmann beschäftigt sich angesichts des Todes mit jüdischen Themen, mit Texten, erschließt seine jüdischen Wurzeln in Kompositionen mit diesem Material. Man kann durchaus von der Theresienstädter Phase Ullmanns sprechen, blickt man auf sein Oeuvre.


Lyrischer Duktus, nervös im Unterton
Salyutov ergänzt an dieser Stelle seinen Vortrag um ausgewählte Kompositionen, die er mit Solisten des Bergisch Gladbacher Sinfonieorchesters aufführt. Sämtliche Werke sind in Theresienstadt entstanden.
Zunächst fünf Gesangsstücke, die heute rein instrumental zu hören sind. Sie sind getragen von einem lyrischen Duktus, von leisem Klagen, gleichwohl einem nervösen Unterton. Dunkle Vorahnung ist zu spüren, eine Erzählung aus dem Unendlichen ist auszumachen. Ein morbides Wiegenlied erklingt, mit trügerischer Süße, stillem Trotz.
Vielleicht sind dies exzellente Beispiele für Ullmanns Tonsprache. Der Schönberg-Schüler kontrastiert tonale Themen mit atonalen Brechungen in der Begleitung, geht aber nie ganz den atonalen Weg seines Lehrers.
Zum Holocaust-Gedenktag: Deutsch-jüdische Söhne des musikalischen Abendlandes
Roman Salyutov: Konzept, Vortrag, Klavier
Birgit Heydel: Violine
Sonja Scholz: Bratsche
Alexander Morogovsky: Klarinette
Eine Veranstaltung der VHS Bergisch Gladbach und des Vereins Musik- und Kulturfestival GL e.V.
Seinen Höhepunkt findet Ullmanns Schaffen sicher in der letzten, der 7. Klaviersonate. Salyutov führt den 5. Satz auf, in seiner eigenen Bearbeitung für Ensemle. Es handelt sich um Variationen über ein altes zionistisches Einwandererlied. Sehnsucht nach der Heimat erklingt, ein majestätisch erhobenes Haupt reckt sich aus der Partitur empor.
Der fünfte Satz der Sonate kann als Hymnus auf das gelobte Land verstanden werden. Hier wird dem drohenden Ende die Stirn geboten, der Blick reicht weit über das Irdische hinaus.
Viktor Ullmann, 7. Klaviersonate, 5. Satz, exemplarische Hörprobe
Gebet der Trauernden
Einem Zufall ist es zu verdanken, dass die Werke Ullmanns überhaupt erhalten blieben. Ullmann soll sie vor seiner Deportation nach Ausschwitz dem Theresienstädter Bibliothekar Emil Utitz anvertraut haben. Der betrieb in Theresienstadt als Inhaftierter eine „Universität über dem Abgrund“.
Welch ein Irrsinn: Dank Utitz sind mehr Kompositionen aus Ullmanns internierter Zeit erhalten geblieben als aus der Zeit davor in Freiheit. Vor der Internierung hatte Ullmann keinen Verlag gehabt, der seine Kompositionen herausgebracht hätte.


Salyutov beendet den Abend mit Ravels „Kaddisch“, dem Gebet der Trauernden, aus Ravels Zyklus Deux mélodies hébraiques. Das Stück bietet keine Erlösung an, es endet in Aporie, in der Unmöglichkeit, das Verbrechen des Holocaust auch nur annähernd in Worte zu fassen.
Salyutovs wiederholte Bitte, die Musik und den Abend ohne Applaus enden zu lassen, wird dem nur gerecht.
Danke, Herr Crump, für Ihre sehr gute Zusammenfassung eines außerordentlichen Abends der Erinnerung, für dessen Gestaltung Herr Roman Salyutov meine ganze Wertschätzung hat.