Bei den aktuellen Debatten gewinnt man leicht den Eindruck, dass in den Kitas einfach nur alles schlecht aussieht. Das ist zum Glück nicht so. Im Schildgener Dreckspatz zum Beispiel läuft es ziemlich gut. Warum das so ist – darüber habe ich mit der Leiterin und mit zwei Erzieherinnen gesprochen. Eine von ihnen ist seit 30 Jahren dabei und sagt: „Hier will ich alt werden.“ Wenn das nichts heißen will.
Neulich brauchte ich über eine halbe Stunde, bis ich meinen Sohn aus der Kita mit nach Hause nehmen konnte. Eine Erzieherin hatte gerade angefangen, die Kinder zu schminken, als ich kam. Mit mir warteten zwei Väter, deren Söhne ebenfalls unbedingt noch geschminkt werden mussten.
Ganz so lange dauert es normalerweise nicht. Aber es gibt kaum einen Tag, an dem mein Kind nicht mit mir diskutiert („Nicht nach Hause gehen!“), versucht, mich von meinem Vorhaben abzulenken („Guck mal, die Autos, die fahren sooo schnell!“) oder sich weigert, Schuhe und Jacke anzuziehen. Eine Zeit lang hat er einfach „nein“ gesagt, wenn sein Vater oder ich in der Kita aufgetaucht sind.
Ein bisschen komisch fühlt sich das schon an. Aber ich bin zum Glück recht sicher, dass es nicht daran liegt, dass mein Kind uns nicht mag. Sondern daran, dass es in seiner Kita richtig glücklich ist.
Immer verlässlich und gut betreut
Die Kita, um die es geht, heißt Dreckspatz. Und wir Eltern sind dort genauso glücklich wie unser Kind. Nicht nur, weil das Kind sich so wohlfühlt.
In den sieben Monaten, die wir nun im Dreckspatz sind, gab es vielleicht zweimal eine Nachricht an alle mit der Bitte, die Kinder wenn möglich etwas früher abzuholen. Vermutlich beide während der schlimmen Krankheitswelle im Dezember, sicher weiß ich es nicht mehr. Ansonsten wissen wir unser Kind immer verlässlich und gut betreut.
Grund genug, einmal bei der Kita nachzufragen, warum es dort so gut läuft.

Jessica Häseler, die den Dreckspatz seit 2020 leitet, hat darauf erst einmal eine pragmatische Antwort: „Wir sind personell gut aufgestellt.“ Zwölf pädagogische Fachkräfte arbeiten in der Kita, viele von ihnen sind schon lange dabei. Manche von Anfang an.
Das will was heißen. Seit 30 Jahren gibt es den Dreckspatz in seiner heutigen Form, als dreigruppige Kindertagesstätte. Sonja Stieffenhofer kannte den Dreckspatz schon, als er noch ein eingruppiger Elternverein war. Sie war damals in der Ausbildung und absolvierte einen Teil ihres Praktikums hier.
Mein Herz hängt am Dreckspatz
Sonja Stieffenhofer, Erzieherin
Als der Dreckspatz 1993 in dem Haus neu eröffnete, in dem er bis heute sitzt, hatte Stieffenhofer ihre Ausbildung abgeschlossen und begann dort zu arbeiten. „Der situationsorientierte Ansatz, der hier immer noch praktiziert wird, war damals noch ein bisschen revolutionär“, erzählt sie. Sie beschreibt ihn so: „Wenn die Kinder auf dem Weg eine Schnecke finden und sie retten wollen, dann ist das unser Thema, und nicht Ostern oder was auch immer gerade ansteht.“
Nach acht Jahren verbrachte sie ein halbes Jahr in Kanada, arbeitete mit Straßenkindern und Inuits, eine Aufgabe, die sie sehr erfüllte. Sie bekam das Angebot zu bleiben – und entschied sich dagegen: „Mein Herz hängt am Dreckspatz. Ich will hier alt werden.“
Sonja Stieffenhofer ist eine der ältesten Mitarbeiterinnen, Jenny Eßer eine der jüngsten. Seit knapp zwei Jahren arbeitet sie beim Dreckspatz – allerdings nicht zum ersten Mal. Vor elf Jahren absolvierte sie erst ein Praktikum, dann das Anerkennungsjahr ihrer Ausbildung hier. Danach war keine Stelle frei, aber Jenny Eßer wusste: Irgendwann komme ich wieder. Vor knapp zwei Jahren klappte es.
Das Beste hier: das Miteinander,
Jenny Eßer , Erzieherin
mit den Eltern und im Team
Was ist es, das die beiden Erzieherinnen immer wieder zu der Kita zurückgeholt hat? Jenny Eßer formuliert es so: „Das Miteinander, mit den Eltern und im Team.“
Das klingt erstmal unspektakulär. In Wahrheit ist es ganz essenziell. Das wird klarer, als die Frauen schildern, was das genau bedeutet.
Elterninitiative: eine besondere Nähe
Fangen wir bei den Eltern an: Der Dreckspatz ist eine Elterninitiative. Das heißt, der ehrenamtliche Vorstand, bestehend aus Eltern, ist Träger und Arbeitgeber. „Der Vorstand hat somit das gleiche Ziel wie das Kita-Team“, sagt Leiterin Jessica Häseler: nämlich das Beste für die Kinder. Die eigenen Kinder, die die Kita besuchen. Eine ganz andere Nähe als bei einem großen Träger.
Für die Eltern hat das den Vorteil, dass sie die Kita ganz unmittelbar mitgestalten können. Vom Mittagessen bis hin zum pädagogischen Konzept.

Für die Mitarbeiter:innen ergibt sich daraus erst mal, ganz simpel, weniger Bürokratie. Braucht ein Team-Mitglied kurzfristig Urlaub, muss das zwar beantragt und genehmigt werden wie bei einem großen Träger, allerdings sind hier die Dienstwege kürzer. Die Absprache mit den direkten Kolleg:innen genügt häufig.
Möchte die Kita etwas Neues anschaffen, wird es dem Vorstand vorgetragen – der häufig so reagiert: „Wenn ihr sagt, dass ihr das für die Arbeit mit den Kindern braucht, ok.“
Dazu gehören zum Beispiel auch Fortbildungen. Jenny Eßer absolviert gerade ihre dritte Inklusionsfortbildung. Bei dem großen Träger, für den sie zwischendurch arbeitete, durfte sie nur fünf „Fortbildungspunkte“ im Jahr machen – die allein durch Team-Workshops schnell erreicht waren.
Jeder kann sich hier
Sonja Stieffenhofer, Erzieherin
in seiner Einzigartigkeit entfalten
Und da geht es von der reinen Bürokratie hin zu einer tieferen Ebene: Im Dreckspatz haben die Mitarbeiter:innen Raum, sich zu entwickeln. In welche Richtung, das bestimmen sie selbst. Sonja Stieffenhofer sagt: „Jeder kann sich hier in seiner Einzigartigkeit entfalten.“
Das ist wahrscheinlich ein Grund dafür, dass das Team im Dreckspatz sehr vielfältig ist. Frauen und Männer, Junge und Alte, Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit und ohne Behinderung. „Jeder gibt das Beste rein, was er hat“, sagt Stieffenhofer. Und wird dafür mit seinen Stärken und Schwächen akzeptiert.

Das Wichtigste: der Teamzusammenhalt
Dabei ist noch etwas wichtig: eine gute Diskussionskultur. Jessica Häseler sagt gern: „Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden“. Wenn jemand aus dem Team mit Beschwerden zu ihr kommt, vermittelt sie Gespräche, sitzt notfalls auch als neutrale Partei mit dabei. Büroarbeiten müssen dann eben mal liegenbleiben – der Teamzusammenhalt ist der Leiterin wichtiger.
Deshalb findet auch jede Woche eine zweistündige Teamsitzung statt. In anderen Kitas treffe man sich nur einmal im Monat, erzählt Häseler. Und selbst das falle dann oft genug einfach aus. Dabei sei das so wichtig.
Und noch etwas macht der Dreckspatz anders als andere Kitas: Er arbeitet nicht mit Gruppenleitungen. „Wir sind alle qualifizierte Fachkräfte, also sind wir auch alle gleichwertig“, sagt Häseler.
Sonja Stieffenhofer erzählt, kürzlich sei das gesamte Team eingeladen worden, als neues Spielmaterial vorgestellt wurde. Zwei Stunden lang. „Es gab Zeiten, da hat sich nur die Kita-Leitung neues Material angeschaut. Vielleicht noch mit einem Vertreter aus jeder Gruppe. Aber alle?“ Bei den Erzieher:innen sorgt das für ein Gefühl von Wertschätzung.
Weitblick der Leiterin
Überhaupt ist Sonja Stieffenhofer voll des Lobes für Leiterin Jessica Häseler. Vor allem für ihren Weitblick. Das Thema Inklusion hätte Häseler, vorausschauend, ins Team gebracht. Gefragt, wer Interesse hätte, sich dazu fortzubilden.
Auch in Bezug auf das Thema Personal denkt Häseler in die Zukunft. In vier, fünf Jahren werden die ersten Alt-Erzieher:innen in Rente gehen. Schon jetzt guckt Häseler, wie sie die Lücken dann schließen wird.

Eine Strategie heißt Ausbildung. Aktuell sind eine duale Studentin und eine Kinderpflegerin in der praxisintegrierten Ausbildung (PIA) im Dreckspatz. Ab August kommt ein angehender Erzieher im Anerkennungsjahr dazu.
Wenn die drei fertig sind, ist wahrscheinlich erst einmal keine Stelle frei. „Dann müssen wir schauen, wie wir die jungen Kolleg:innen bei uns halten können“, sagt Häseler. In der Hoffnung, dass der eine oder die andere dann zurückkommt, sobald es die Möglichkeit gibt. So wie Jenny Eßer.
Darüber hinaus gibt Jessica Häseler zusammen mit Birgit Knabe, interne Kinderschutzfachkraft (und eine der langjährigen Erzieherinnen), ein Seminar zum Thema Kinderschutz am Berufskolleg – auch das, nicht zuletzt, als Werbung für den Dreckspatz.
Wie den Fachkräftemangel lösen?
Auf die Frage, wie man den Fachkräfte-Mangel beheben könnte, antwortet die Leiterin nach kurzer Überlegung: „Mehr Möglichkeiten, sich zur Erzieher:in ausbilden oder umschulen zu lassen.“
Die klassische Ausbildung stellt hohe Anforderungen: ein Jahr Berufsschule, zwei Jahre Fachschule für Sozialpädagogik mit mehreren Praxisphasen, am Schluss ein Jahr Berufspraktikum – nur das letzte Jahr bezahlt.
Ich wünsche mir den Bildungsweg
Jessica Häseler, Leiterin
in verschiedensten Varianten
Die PIA sei schon einmal ein sehr guter Schritt gewesen, findet Häseler. Hier werden Theorie und Praxis verzahnt (meist besuchen die Azubis drei Tage die Woche die Schule und arbeiten zwei Tage in der Kita, später andersherum), und die komplette dreijährige Ausbildung ist vergütet.
Doch warum nicht auch Umschulungen an der Abendschule anbieten? „Ich wünsche mir den Bildungsweg in verschiedensten Varianten“, sagt Häseler.
Außerdem wünscht sie sich Aufklärung, darüber, was der Beruf eigentlich bedeutet – „das Bild von der Erzieherin mit dem Keks in der einen und der Tasse Kaffee in der anderen Hand hält sich immer noch hartnäckig“.
Und darüber, dass Erzieher:innen gar nicht so schlecht bezahlt werden. „Mehr Gehalt wäre natürlich trotzdem wünschenswert“, sagt Häseler, „aber für einen Ausbildungsberuf verdienen Erzieher:innen eigentlich ganz gut!“
Gehalt ist nicht alles
Jenny Eßer, Erzieherin
Für Jenny Eßer ist der Verdienst gegenüber dem Arbeitsklima im Dreckspatz tatsächlich nachrangig. Bei einem größeren Träger könnte sie mehr verdienen, aber sie sagt: „Gehalt ist nicht alles.“
„Einmal Dreckspatz, immer Dreckspatz“
Das gute Klima im Dreckspatz sorgt dafür, dass die Erzieher:innen mit Leidenschaft dabei sind. Dass sie sich nicht darüber beklagen, auf Eltern-Kind-Team-Wochenenden zu fahren oder mit den älteren Kindern auf Ferienfahrt. Dass sie spontan da bleiben, um mir von ihren Erfahrungen im Dreckspatz zu erzählen, obwohl sie eigentlich schon frei haben.
Es sorgt auch dafür, dass viele der Kinder, die vor 30 Jahren im Dreckspatz waren, inzwischen ihre eigenen Kinder hier haben. Sonja Stieffenhofer nennt es den „Spirit des Hauses“, Jessica Häseler spricht von einer „eigenen Mentalität“.
Deshalb kommen wohl so viele immer wieder hierher zurück. Erzieher:innen wie (ehemalige) Kinder. Ich verstehe jetzt, warum das Motto der Kita lautet: „Einmal Dreckspatz, immer Dreckspatz“. Und ich verstehe noch ein bisschen besser, warum mein Kind nachmittags nicht mit mir nach Hause gehen möchte.
Ich war mit meinen beiden Söhnen von 1993 bis 2008 eine glückliche Mutter im Dreckspatz und noch heute denke ich und meine Kinder an diese besondere Zeit. Die Einstellung der Erzieher:innen zu den Kindern und Eltern war für uns besonders wertvoll und hilfreich im Alltag. Wir freuen uns auf das Fest zum 30-jährigen Jubiläum um Erzieher:innen, Eltern und Kinder wiederzusehen.
Bitte bitte mehr von solchen (Mut machenden) guten Beispielen…davon gibt es in vielen Bereichen doch viele…
Probleme benennen ist nötig und es läuft manches nicht gut, aber es wird auch (zu?) viel schlecht geredet.
Ein ganz wohltuender Artikel.
Danke dafür.
Ein wunderbarer, optimistischer Artikel. Sehr wohltuend, zu diesem Thema auch mal was positives zu lesen. Es gibt so viele Einrichtungen, in denen es gut klappt und die Stimmung gut ist. Das Engagement der Erzieherinnen ist in der Regel unglaublich hoch und es tut gut, dass der Blick auf diese Leistungen und die große Bedeutung der Arbeit mehr und mehr geschätzt wird.
Sehr schöner Artikel und absolut zutreffend.
Ich habe selber ein Praktikum dort absolviert, kurzzeitig als Krankheitsvertretung ausgeholfen und beide Kinder in der Kita haben dürfen.
Und ja, es ist eine unglaublich tolle, liebevolle, wertschätzende, besondere Atmosphäre.
Mögen noch viele Dreckspatzen gestärkt und selbstbewusst aus dieser Kita ihren weiteren Weg gehen.