Mit Fahrrädern und bunten Luftballons für die Verkehrswende: Am Sonntag, 7. Mai, fährt wieder die Kidical Mass durch Bergisch Gladbachs Straßen. Melanie Baierl ist eine der Organisatorinnen der Kinder-Fahrraddemo. Im Interview hat sie uns verraten, warum sie das macht, was sie sich von der Stadt wünscht – und wie man mitmachen kann.

Seit zwei Jahren wohnt Melanie Baierl in Schildgen. Gleich gegenüber ihrem Zuhause liegt ein Spielplatz, den sie so gut wie nie mit ihren Kindern besucht. Denn dazwischen liegt die Schlebuscher Straße, ohne Ampel oder Fußgängerüberweg. Zu stressig, die viel befahrene Straße mit einer fast Zwei- und einer Viereinhalbjährigen zu überqueren.

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Baierl, selbstständige Arbeits- und Organisationspsychologin, ist schon immer viel Fahrrad gefahren. Früher in Köln, dann in Hand. Aber erst, seit sie mit ihrer Familie in Schildgen lebt, setzt sie sich so richtig mit den Themen Sicherheit und Verkehrswende auseinander. Ganz einfach, weil sie direkt vor ihrer Haustür sieht: So geht es nicht weiter.

„Ich war geschockt, wie viel Verkehr hier ist“, sagt die 37-Jährige. Und wie wenig Platz darin für die schwächsten Teilnehmer:innen eingeplant ist.

Melanie Baierl. Foto: Laura Geyer

Als Familie mit dem Rad loszuziehen, brauche immer wieder Nachdenken und Mut. Die ältere Tochter fährt auf dem Kinderfahrrad, die kleinere startet gerade auf dem Laufrad durch: „Da steht man als Eltern unter Hochspannung, muss ständig gucken, ‚Stop‘ rufen – in der Rolle gefalle ich mir selbst nicht“, sagt Baierl. „Ich kann wirklich verstehen, dass es für viele einfacher und bequemer ist, als Familie das Auto zu nehmen.“

Melanie Baierl fragte sich: Warum ist es nicht möglich, sich mit Kindern im Straßenverkehr entspannt und sicher zu bewegen? Was braucht es dafür, woran hapert es?

Als ein Vater in der Kita sie ansprach, ob sie nicht eine Kidical Mass mitorganisieren wollte, war Baierl begeistert: „Das Thema Verkehrswende ist oft so theoretisch und weit weg. Die Kidical Mass macht es greifbar, lokal, und Spaß macht das Ganze auch noch.“

Am Sonntag, 7. Mai, findet die Demo nun zum vierten Mal in Bergisch Gladbach statt. Im Interview erzählt Melanie Baierl, worum es dabei geht – und wie man mitmachen kann:

Melanie, was sind die Forderungen der Kidical Mass?
Kinder sollen sich selbstständig und sicher fortbewegen können. Da sie kein Auto fahren können, heißt das eben zu Fuß oder mit dem Rad. Dafür braucht es zunächst mal auf Bundesebene eine Reform der Straßenverkehrsordnung.

Ein schönes Beispiel dafür aus Schildgen: Die Politik will einhellig Tempo 30 – die Verwaltung schafft es aber aktuell aufgrund der StVO nicht, das auf der ganzen Altenberger-Dom-Straße durchzusetzen.

Wenn Radinfrastruktur für Kinder gut ist, ist sie das auch für andere.

Das lässt sich auf kommunaler Ebene tatsächlich nicht so einfach lösen.
Richtig. Aber auch auf kommunaler Ebene gibt es mehr Spielraum als zurzeit ausgeschöpft wird. Ein Anfang wäre es, das bereits geltende Recht besser zu überprüfen und Übertretungen zu ahnden. Eineinhalb Meter Abstand beim Überholen von Fahrrädern, Parkverbot auf Radschutzstreifen und in Kreuzungsbereichen – wenn das alles eingehalten würde, wäre schon einiges gewonnen.

Wir brauchen Radwege, für die man nicht mutig sein muss. Wenn Radinfrastruktur für Kinder gut ist, ist sie das auch für andere. Dann trauen sich bestimmt auch mehr Menschen, aufs Rad umzusteigen.

Wie beurteilst du denn die Fahrrad- und Kinderfreundlichkeit in Bergisch Gladbach?
Kritisch. Kinder können hier im Grunde nicht alleine auf die Straße. Der ADFC-Fahrradklimatest hat ja auch gerade wieder gezeigt, dass noch viel Luft nach oben ist.

Die Stadt rühmt sich damit, Radschutzstreifen mit neuer roter Farbe versehen zu haben. Schutzstreifen sind diese schmalen Wege auf der Fahrbahn, nur mit einer gestrichelten Linie von den Autos getrennt. Oft fährt man dort zwischen fahrenden Autos links und geparkten Autos rechts.

Würdest du dein Kind dort mit einem guten Gefühl fahren lassen? Laut StVO müssen sie das, sobald sie zehn Jahre alt sind. Mir graut es jetzt schon davor.

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Wie fahren wir als Familie am besten?

Mein Mann und ich, wir besitzen ein Lastenrad, (neuerdings) ein Deutschlandticket und die Möglichkeit, ab und zu das Auto meiner Mutter auszuleihen. Wie benutzen wir diese Verkehrsmittel? Was sind die Vor-, was die Nachteile? Was braucht man als Familie hier in Bergisch Gladbach wirklich? Ein Selbsttest.

Was wünschst du dir stattdessen von der Stadt?
Breite und geschützte Radwege. Im besten Fall baulich von der Fahrbahn getrennt. Also zum Beispiel sogenannte Hochbord-Radwege, ähnlich wie die Fußwege. Mir ist klar, dass das nicht überall umsetzbar ist.

Aber dann könnte man zumindest die Radfahrstreifen auf der Straße durch Plastik-Poller vom Autoverkehr trennen. Das verbessert immerhin das subjektive Sicherheitsgefühl.

Außerdem wünschen wir uns Schulstraßen. Das heißt, dass die Straßen an den Schulen zu bestimmten Zeiten für Autos gesperrt werden, sodass Kinder entspannt zur Schule und wieder nach Hause gehen können.

Ich wünsche mir von der Stadt ein mutigeres Vorangehen.

Sind bereits Forderungen aus den letzten Demos aufgegriffen worden?
Ja. Unsere Forderung nach Tempo 30 innerorts ist in Schildgen jetzt zumindest teilweise umgesetzt worden.

Wie siehst du den Kurs der Stadtverwaltung in Bezug auf eure Themen?
Ich merke schon, dass unsere Themen gesehen werden. Gerade das Mobilitätsmanagement der Stadt hat schon einiges auf den Weg gebracht, etwa den Schulexpress.

Ich finde aber auch, dass bei der Umsetzung noch viel zu oft Kompromisse eingegangen werden. Das liegt vielleicht daran, dass es in der Verwaltung nicht eine gemeinsame Vision von Bergisch Gladbach als Fahrradstadt gibt. Da wünsche ich mir von der Stadt ein mutigeres Vorangehen.

Wir brauchen eine Verkehrswende, hier und überall. Damit meine ich überhaupt nicht, dass die Menschen nicht mehr Auto fahren dürfen. Es sollte einfach leichter und damit attraktiver sein, aufs Rad umzusteigen. Dann würde auch der Straßenverkehr entlastet. Davon würden alle profitieren.

Das fordert ihr nun auch wieder diesen Sonntag mit der Kidical Mass. Können da alle mitfahren, auch kleinere Kinder?
Ja, unbedingt. Wir starten um 15 Uhr am Konrad-Adenauer-Platz. Von dort fahren wir einen Rundweg über Turbokreisel, Driescher Kreisel, Hauptstraße, Gronauer Mühlenweg, Richard-Zanders-Straße, Bensberger-Straße und zurück zum Turbokreisel.

Dann drehen wir noch eine Schleife über die Schnabelsmühle und die Hauptstraße in die andere Richtung bis zum Kreisverkehr an der Kürtener Straße und zurück zum Forumspark. An dem Spielplatz dort endet die Demo.

Das sind insgesamt sechs Kilometer, fast ohne Steigungen. Wir fahren langsam, sodass alle mitkommen. Die Polizei sperrt und sichert die ganze Strecke.

Wir machen genau das erlebbar, was wir uns wünschen: mit Platz und Sicherheit durch die Stadt zu fahren.

Wie ist die Stimmung bei der Kidical Mass?
Es macht total Spaß, mit ein paar Hundert Menschen zusammen auf den Straßen zu fahren, klingelnd, mit bunten Luftballons und Schildern. Wir machen genau das erlebbar, was wir uns wünschen: mit Platz und Sicherheit durch die Stadt zu fahren. Das ist auch für uns als Eltern total entspannend.

Von einem Kind habe ich letztes Mal gehört: Ich finde es cool, dass ich hier meine Meinung sagen kann. Und natürlich freuen sich alle Kinder darüber, dass die Polizei für sie die Straße sperrt.

Kann man einfach dazu stoßen, oder muss man sich irgendwo anmelden?
Einfach dazu stoßen!

Wer steht hier in der Stadt hinter den Demos  – und (wie) kann man sich als Privatperson engagieren?
Wir sind ein Kernteam von vier bis fünf Leuten, alles Privatpersonen. Und wir würden uns sehr über Unterstützung freuen! Unsere Aufgaben reichen von Route planen und Demo anmelden über Plakate kleben und Flyer verteilen bis hin zu Ballons mit Gas füllen und Leute zählen am Tag der Demo selbst.

Mit mehr Menschen könnten wir noch viel mehr machen: eine Webseite aufsetzen, besseres Marketing, vielleicht eine kleine Band für die Demo anheuern. Wer Lust hat, bei der nächsten Kidical Mass im September mitzumachen, kann uns gerne am Sonntag ansprechen. Oder schon vorab per Mail: baierlm@gmail.com.

Vielen Dank fürs Gespräch!

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ist freie Reporterin des Bürgerportals. Geboren 1984, aufgewachsen in Odenthal und Schildgen. Studium in Tübingen, Volontariat in Heidelberg. Nach einem Jahr als freie Korrespondentin in Rio de Janeiro glücklich zurück in Schildgen.

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9 Kommentare

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  1. Liebe Frau Geyer, vielen Dank für ihren Beitrag. Ihre Überschrift trifft es genau auf den Punkt. Wer in dieser Stadt mit dem Rad unterwegs sein will oder muss, der/die benötigt vor allen Dingen eines: Sehr viel Mut!

    Dieser Mut wird auch in Zukunft notwendig sein. Denn, obwohl wir uns im Jahr 2023 befinden, wird in dieser Stadt Mobilität noch immer wie in den 1980er Jahren geplant. Der Beweis für diese höchst rückwärtsgewandte, radfahrverachtende, umweltschutzignorierende und unsoziale Verkehrspolitik, manifestiert sich in der Planung der Paffrather Strasse als Festival für den beschleunigten Autoverkehr und der vollkommenen Ignoranz gegenüber Mensch, die Rad fahren wollen oder müssen.

    Radschutzstreifen, die plötzlich aufhören und der Linksabbiegespur für Autos geopfert werden, die bei Bushaltestellen aufhören, bei Querungshilfen aufhören, in den – besonders gefährlichen – Kreuzungsbereichen plötzlich aufhören. Und all das wird noch gebaut! Trotz grünem Beigeordnetem, trotz Mobiltätsbeauftragten trotz grüner Ratsbeteidigung, trotz eines Bürgermeisters der sich im Wahlkampf und auf Presseterminen gerne mit dem Fahrrad ablichten lässt.

    Ich glaube nicht, dass in Zukunft viele Menschen den Mut aufbringen werden, in Bergisch Gladbach mit dem Rad zu fahren. Dafür braucht es geschützte Radwege! Es braucht den Willen zu Veränderungen und es braucht eine mutige Politik und Mut in der Verwaltung – und nicht mutige Menschen die mit dem Rad fahren wollen oder müssen.

    1. +1

      In der Tat hat mensch oft den Eindruck, dass Radfahr- oder Schutzstreifen („Radschutzstreifen“ gibt es nicht) mit Vorliebe dort markiert werden, wo die Strasse schoen breit und uebersichtlich ist. Ist ja auch viel einfacher. Der Haken daran: Diese Abschnitte sind auch bisher schon unkritisch, die Markierung also mehr oder minder ueberfluessig. An den brenzligen Engstellen, also dort wo die (Beinahe-)Unfaelle passieren, bleibt dagegen alles beim Alten. Solange sich das nicht aendert, bleibt Radfahren innerorts in den Augen vieler Menschen ‚zu gefahrlich‘.

  2. Sehr gutes Interview, das vieles auf den Punkt bringt – vielen Dank dafuer!

    Jede und Jeder sollte frei zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln waehlen koennen. Solange Fahrradfahren zu gefaehrlich erscheint und/ oder abends um 6 der letzte Bus faehrt, sind wir davon weit entfernt.

  3. Bergisch Gladbach war und wird nie eine Fahrradstadt wie z.B. Münster. Dafür bedarf es viel radikaleren Maßnahmen und den Einbezug sämtlicher Stadtteile.

    In meiner Jugend haben Eltern ihren Kindern Mofas (25 km/h) gekauft, da ihnen Fahrradfahren zu gefährlich erschien. Damit hatten wir (Jugendliche) zumindest Helm, Licht und „breite“ Reifen für die Straßenbeläge. Für Schulweg und Freizeit war das die cleverste Lösung.

    Eine konsequent autofreie Innenstadt mit modernen technischen Mobilitätsangeboten für Senioren und Menschen mit Behinderung wäre ein erster Schritt. Echte Fahrradtrassen als Verbindungen ein Weiterer.
    Städte wie z.B. Monheim wagen diese Schritte und zeigen Initiative diesbezüglich.

    Ob so etwas in der bequemen Stadt GL möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Hier muss es immer der Parkplatz vor dem Ladenlokal sein. Eine Frage der Mentalität.

  4. Frau Baierl sei GROSSER DANK (hoffentlich wiederholt) die kidical mass zu organisieren. Die Straßen sind für Radfahrer, erst recht für Kinder, LEBENSGEFÄHRLICH. Verbesserungen erfolgen, aber leider nur im Schneckentempo.

    @Herr Lehner : gerne weniger „pampig“ sein, stattdessen froh, dass das Bürgerforum so oft und ausführlich über Radinitiativen berichtet.

  5. Die Tätigkeiten des Bürgervereins Schildgen Katterbach e.V., der sich mit großem Einsatz um konstruktive Vorschläge für alle! Verkehrsteilnehmer bemüht, werden in diesem Medium fast komplett ignoriert.

    1. Sehr geehrter Herr Lehner, das ist eine interessante Aussage. Wir hatten den Bürgerverein in seiner Gründungsphase intensiv begleitet, allerdings erhalten wir vom Verein seit Sommer 2022 keinerlei Infos mehr, keine Einladungen, keine Terminhinweise, nichts. Trotz mehrerer Versuche.

      Wenn Sie ein Anliegen haben, wir sind jederzeit erreichbar: redaktion@in-gl.de

      1. Verstehe ich das jetzt richtig, dass Sie nur nach Aufforderung berichten? Ich hatte InGL eher als Nachrichtenportal verstanden, das über regionale Themen redaktionell berichtet, insbesondere dann, wenn es sich um so stark diskutierte Themen wie die Weiterentwicklung des Radverkehrs handelt. Ich werde aber dem Bürgerverein dies als Aufgabe mit auf den Weg geben.

      2. Nein, das verstehen Sie nicht richtig. Und Sie wissen, dass wir über die Verkehrsprobleme in Schildgen und die Altenberger-Dom-Straße intensiv berichten. Wenn wir von einem Verein aber keine Einladungen und keine Infos bekommen können wir darüber auch in der Regeln nicht berichten. Wie gesagt, wir hatten uns bemüht, wurden aber ignoriert.