In der Caritas-Kita auf dem Ferrenberg gibt es eine heilpädagogische Gruppe für Kinder mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen – eine der letzten Gruppen dieser Art im Kreis. Alle diese speziellen Fördergruppen sollen geschlossen und in inklusive Gruppen überführt werden, mit einem Mix aus Kindern mit und ohne Beeinträchtigung. Wir haben uns das Angebot auf dem Ferrenberg angeschaut und nachgefragt: Ist das neue Modell praktikabel?
Die Caritas-Kita Ferrenberg: Vier Gruppen, 62 Kinder, ein Team aus 20 Erzieher:innen, Heilerziehungspfleger:innen und Therapeuten. 35 bis 45 Stunden Betreuung pro Woche, von 7.30 bis 16.30 Uhr. Und eine heilpädagogische Gruppe für acht Kinder mit besonderem Förderbedarf.
In dieser Gruppe werden Kinder mit einer Beeinträchtigung individuell betreut, der Betreuungsschlüssel ist mit sechs (Teilzeit)Kräften und acht Kindern weitaus höher als in den anderen Gruppen, wo sich zwei Fachkräfte um 24 Kinder kümmern.
Aber die heilpädagogische Gruppe – eine der letzten dieser Art im Rheinisch-Bergischen Kreis – ist ein Auslaufmodel.

Auflösung beschlossen
Es sei politischer Wille, diese Gruppen aufzulösen, berichtet Andreas Hack. Er kümmert sich bei der Caritas Rheinberg um die Bereiche Kitas und OGS.
Die Heilpädagogischen Angebote sollen künftig in das System der Regel-Kitas überführt werden, bestätigt ein Sprecher des Landschaftsverbands Rheinland auf Anfrage, die Verhandlungen laufen (Details dazu weiter unten).
Überführung in das Regelsystem bedeutet: Kinder mit erhöhtem Förderbedarf werden künftig gemeinsam mit Kindern ohne Förderbedarf in einer gemeinsamen Gruppe betreut. So wie das heute in inklusiven Gruppen schon der Fall ist.
Ist das vor dem Hintergrund des individuellen Förderbedarfs der betroffenen Kinder und der unterschiedlich stark ausgeprägten Handicaps überhaupt praktikabel?





Intensivere Zuwendung
„Wir betreuen unsere acht Kinder mit einem Heilerziehungspfleger, einer Motopädin, einer Sprachheilpädagogin, einer inklusiven Fachkraft und einer Sozialpädagogin“, schildert Ingrid Settertobulte-Mortschiefer. Die Sozialpädagogin leitet die heilpädagogische Gruppe am Ferrenberg.
Manchmal dauere die Eingewöhnung der Schützlinge ein Dreivierteljahr. Die Zuwendung in ihrer Gruppe sei intenisver, etwa bei motorischen oder emotionalen Auffälligkeiten. Auch pflegerisch sei das Team in der Gruppe deutlich mehr gefordert, etwa mit Wickeln, Füttern, Ernähung per Sonde. Intensiver werde es auch in der Kommunikation, wenn das Sprachvermögen begrenzt sei. Oder durch die eingeschränkte Mobilität im Rollstuhl.
Alter und Entwicklung der Kinder würden oft auseinanderliegen. Teils sei eine Trennung der Kinder von allzu stressigen Situationen und Umgebungen erforderlich. Jeder Fall in der Heilpädagogischen Gruppe sei unterschiedlich, fasst Settertobulte-Mortschiefer zusammen.
„Nicht kindgerecht!“
Die Betreuung dieser Kinder in eine größere, inklusive Gruppe zu überführen, also in einen Mix aus Kindern mit und ohne Förderbedarf, das werde schwierig, so die Einschätzung der Caritas-Mitarbeiterin. Besonders bei Kindern mit massivem Betreuungsbedarf, die nicht zuletzt auch Rückzugsmöglichkeiten bräuchten. Sie sieht die Abschaffung der Heilpädagogischen Gruppen mit Skepsis.
Die Befürchtung der Caritas-Mitarbeiter:innen: Die Neuorganisation werde zu Lasten des Betreuungsschlüssels gehen. Und auch die therapeutischen Leistungen würden sich verschlechtern. Diese würden ausgelagert: Kinder würden dann in eine Praxis gefahren oder Therapeuten kämen nur noch einmal pro Woche für eine halbe Stunde in die Kita. Bislang ist die notwendige Therapie fest in die heilpädagogische Gruppe integriert. Mit kontinuierlicher Zuwendung.
„Das ist nicht kindgerecht, da wird von der Verordnung her gedacht, nicht vom Kind“, bilanziert Hack.

„Pizzafabrik gebaut“
In der Turnhalle der Kita herrscht an diesem Morgen buntes Treiben. Kinder aus der heilpädagogischen Gruppe und Kinder anderer Gruppen flitzen über die blauen Matten. „Sie haben sich heute eine Pizzafabrik gebaut“, erzählt eine Erzieherin. Spielringe seien kurzerhand zu Pizzen umfunktioniert worden. „Davon kam einer nach dem anderen aus der Fabrik herausgerollt, wir konnten gar nicht alle aufessen“, schmunzelt sie.
Ein Mädchen wird von einem Heilerziehungspfleger in ihren Rollstuhl gesetzt. Sie wurde zuvor auf einem speziellen Trampolin geschaukelt und hat es sichtlich genossen. „Je heftiger geschaukelt wird, desto stärker ihre Reaktionen!“
Selbständig könne sie diese Bewegungen wegen ihres Handicaps nicht ausführen, erklärt die Erzieherin, daher seien diese Aktivitäten so wichtig für ihr Wohlbefinden.
Abwägung zwischen Teilhabe und Förderbedarf
Die Auflösung der heilpädagogischen Gruppen wird dennoch kommen. Der Umstellungsbeginn sei für den 31. Dezember 2026 terminiert, bestätigt ein LVR-Sprecher klar. Mit einer Übergangsfrist bis Mitte 2027. Derzeit würden Landschaftsverband und Leistungserbringer (wie die Caritas) über die Rahmenbedingungen verhandeln.
„Kinder mit und ohne Behinderung haben dasselbe Recht auf Teilhabe“, argumentiert der Sprecher für die neue Richtung. Kinder würden damit früh Toleranz, Rücksicht und ein positives Sozialverhalten erlernen.
Es sei jedoch nicht daran gedacht, dass die therapeutischen Leistungen ausgelagert würden, sagt der Sprecher. Aber: Notwendig sei, dass die Räume in den betroffenen Kindertageseinrichtungen für diese Leistungen auch vorhanden seien.
Der konkrete Betreuungsumfang sei zudem noch nicht endgültig beschlossen: „In den Verhandlungen zur Leistung für Kinder mit einem hohen Teilhabbedarf ist genau der Betreuungsschlüssel ein Thema“, heißt es beim LVR in Köln. Ebenso wie die Optionen auf Rückzugsmöglichkeiten – angedacht seien Lösungen ohne „bauliche Maßnahmen“, um eine 1:1-Betreuung zu gewährleisten.




Angst vor Ablehnung
Unabhängig vom Ausgang dieser Verhandlungen ist die Lage für Kinder mit Handicaps schon jetzt schwierig. Angesichts fehlender Betreuungsplätze würden manche Eltern bei der Anmeldung die (drohende) Beeinträchtigung ihres Kindes nicht angeben. Sie würden fürchten, dass sie in der Kita-Krise schlichtweg das Nachsehen hätten, berichtet Ingrid Settertobulte-Mortschiefer.
Kita-Krise: Leerer Markt und gigantische Nachfrage
Auch in der Kita am Ferrenberg ist die aktuelle Kita-Krise zu spüren. „Wir besetzen aktuell eine Stelle in der Kinderpflege sowie eine Fachkraft nach“, erklärt die Kita-Leiterin Ricarda Paschke. Das habe diesmal deutlich länger gedauert. Viel laufe über Mund-zu-Mund-Propaganda, auch wenn man mit Social Media neue Wege der Ausschreibung begehe: „Der Markt ist leergefegt!“
Die Nachfrage nach Kita-Plätzen sei „gigantisch“. Die Not mache manche Eltern erfinderisch, aber die Kita halte am Anmeldeverfahren über Little Bird fest, so Raschke. Zudem wolle man die Eltern bei Besuchsterminen kennenlernen und erfahren, ob sie sich mit der Einrichtung und ihrem Konzept identifizieren könnten.
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Eine Betreuung für einen inklusiven Kita-Platz zu organisieren, das sei einfach aufwändig. Es sei mit Anträgen, ärztlichen Diagnosen und viel Zeitaufwand verbunden. Und manche Kitas würden sich bei einer Mehrfachbehinderung oder Autismus einfach überfordert fühlen, so ihre Einschätzung.
Andreas Hack stellt klar: „Damit die derzeit geplante Neuausrichtung funktioniert, müssen sich mehr Kitas öffnen und mehr Kindern einen Platz anbieten!“ Aber es fehlten die Fachkräfte. „Es kann nicht sein, dass wegen fehlender Plätze behinderte Kinder hinten runter fallen“, stellt Hack klar.
Inklusion bedeutet sich als Teil des Ganzen betrachten zu können. Natürlich brauchen und partizipieren diese Kinder mit einem erhöhten Förderbedarf ebenso an einer Großgruppe und derem sozialen Kontext, wie Kinder ohne erhöhten Förderbedarf. Früher hat man Menschen mit Handicap ausgelagert. Menschen mit psychischen Erkrankungen, Menschen mit kognitiven oder körperlichen Gebrechen, sogar Kinder ohne Eltern. Wie sinnvoll kann es sein Menschen, egal wie sie sind, aus der Gesellschaft auszugliedern? Diese alte, antiquierte Denke gehört abgeschafft. Wir sind alle Teil eines Ganzen. Da sollten wir hin. Die Zeit der Ausgrenzung (auch in unseren Köpfen ist hoffentlich bald Geschichte.
Vor ca. 25 Jahren hat das Sozialministerium des Bundes den Entwurf des Gesetzestextes wie folgt zur Beratung bei der Besprechung in Frankfurt mit den Mitgliedern des Rechtsausschusses der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte vorgelegt: Heilpädagogische Hilfen werden bis zum Beginn der Schulpflicht gewährt (ab dem 6. Lebensjahr wären dann keine Leistungen mehr gewährt worden).
Als Mitglied des Bundesrechtsauschusses konnte ich in Zusammenarbeit mit dem Bundesgeschäftsführer Herrn Nachtigäller erreichen, dass die Förderung bis zur Aufnahme in die Schule erfolgt. Keine Streitfrage war, das die Förderung durch speziell ausgebildete Kräfte wie zum Beispiel Sprachheilpädagogen, Motopäden usw. täglich durchzuführen sind um die Kinder für die Schule vorzubereiten.
Das ist eine Ist-Bestimmung die nicht willkürlich geänderten werden kann. Die vorgesehene Änderung des LVR kann ich nur als Idee ansehen, die ohne jeden Zweifel rechtswidrig ist.
Es gibt Kinder, die kann man sicherlich in normalen Gruppen unterbringen und es wird Kinder geben, die eine besondere Betreuung benötigen. Davon wegzugehen halte ich für einen extremen Fehler. Aber nun gut, die Herrschaften die das heute Entscheiden werden für Ihre eigene kurzfristige Entscheidung nie Verantwortung übernehmen müssen. Ausbaden können das dann zukünftige Jahrgänge an Kinder/Eltern/Erzieher und in 5 Jahren heisst es dann wieder: „Wie hätte man das erahnen können.“
Es wird davon gesprochen, den Beruf der Erziehungskräfte aktraktiver zu gestalten und dann erschwert man Unnötig noch das Arbeitsumfeld.
Danke, dass Ihr Euch diesem Thema zuwendet. Ich nenne es „Intergration der Beeinträchtigsten zum kleinsten Preis“.
Gebraucht würde meiner Meinung nach, mehr Heilpädagogische Gruppen in Regelkitas mit multiprofessioneller Personalausstattung. Hier wird wiedereinmal auf Kosten der Schwächsten ein politisches Ziel gefeiert. Gut gemeint und schlecht gemacht und anschließend schön geredet.
Gut funktionierende Systeme sollte man erhalten. Nicht jedes schwer mehrfach behindertes kind ist wirkliche Teilhabe im zukünftigen System möglich.
Mein Aufruf an die Verbände und freien Träger: Schließt euch zusammen und wehrt die Planungen ab!
Ein reines Sparprogramm unter dem Deckmantel der Inklusion ist das. Bei von Elterninitiativen betriebenen Einrichtungen schon vor Jahren durch Kürzung der Landes-Mittel für die Beschäftigung von Therapeuten in der Einrichtung umgesetzt.
Jetzt sollen sich Eltern ärztliche Diagnosen besorgen und am Abend in therapeutische Praxen fahren. Im Kita-Alltag fallen die Fachkräfte weg. Denen fällt oft zuerst auf, dass ein Kind überhaupt Förderbedarf hat. Ist ja kein Schild am Kind …, muss man erstmal sehen.
Das ist traurig und eindeutig zu Lasten behinderter Kinder. Da braucht man sich nicht über Fachkräftemangel in der Kinderbetreuung beschweren, wenn man etablierte und funktionierende Strukturen kaputt spart!
Hat der “ politische Wille“ genügend Kontakt zu schwerer behinderten Kinder gehabt ? Jenseits von Personalschlüssel, Ausstattung und Überfordern der “ normalen“ Kita steht doch die Frage: geht es dem Kind dort gut? Der Lärm, die Hektik, die vielen Reize, das Tempo…… kostbare Zeit der Förderung geht verloren und diesen Kindern die benötigte Geborgenheit.
Die Abschaffung der heilpädagogischen Kindergärten ist nicht zum Wohle der Kinder, sondern ausschließlich dafür da Kosten zu reduzieren. Natürlich wird es KEIN ausreichendes Personal geben, um diese Kinder gut in einem Regelkindergarten zu betreuen.
Das hat auch nicht mehr mit Teilhabe und Inklusion zu tun – es geht zu Lasten der Kinder und ihrer Eltern, die sich plötzlich alleine um Therapien kümmern müssen, die bisher im normalen Kita-Betrieb integriert waren – also Stress für alle Beteiligten!
Genauso, wie die Abschaffung der Förderschulen zu einer Verschlechterung der Versorgung der behinderten Schüler geführt hat, wird die Abschaffung der heilpädagogischen Kitas zu einer schlechteren Betreuung der Kita-Kinder führen – nicht jedes Kind ist im Regelbetrieb gut aufgehoben und benötigt mehr Zeit und intensive Förderung.