Frank Detering machte eine Lehre als Papiermacher bei Zanders, arbeitete zuletzt an der riesigen PM 3, produzierte dort das letzte Papier in der Geschichte des Unternehmens. Am Ende des eigenen Arbeitslebens hilft er nun beim Rückbau seines alten Arbeitsplatzes. Und hat einen sehnlichen Wunsch, was die Zukunft des Areals betrifft.

„Die Papiermaschine gibt den Rhythmus im Leben vor!“ Frank Detering muss es wissen. Er ist Papiermacher. Hat auf Zanders gelernt und sein Arbeitsleben dort verbracht. Erst an der Papiermaschine PM 1, dann an der PM 2. Zum Schluss an der riesigen PM 3. Die habe er in der allerletzten Schicht auf Zanders noch zwei Stunden laufen lassen. Und damit die letzten beiden Rollen Papier produziert.

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Ende April 2021 war dann Schluss. „Wir haben die PM 3 von hinten nach vorne ausgeschaltet, in umgekehrter Reihenfolge wie beim Hochfahren.“ Dann war Ruhe, und die Papierfabrik Zanders war Geschichte.

„Die Papiermaschine gibt den Rhythmus vor“, sagt der 61-jährige Papiermacher-Meister. Das war so, an jedem Arbeitstag von Detering: Wenn die Maschine hakte, war die Mittagspause vorbei. Oder auch die Nachtruhe zuhause, wenn man ihn anrief. Die Produktion ging immer vor.

Frank Detering. Foto: Thomas Merkenich

Berufsstart auf Zanders

Das war aber im gesamten Berufsleben von Detering so. „Am 1. August 1979 habe ich meine Ausbildung als Papiermacher bei Zanders begonnen“, blickt der gebürtige Westfale zurück. Seinen ersten Job hatte er an der PM 1, als Roller. Da habe er das fertige Papier auf Fehler geprüft, gereinigt, in die Weiterverarbeitung gegeben.

Dann wurde er Trockner, „da stellt man die Dicke und Bogenhöhe des Papiers ein.“ Das machte er auch an der PM 2, die stand in der gleichen Halle gegenüber. Eigentlich sei die ihm zu groß gewesen, aber er ist trotzdem gewechselt, als der Arbeitgeber es von ihm verlangte. Und er wurde dort Maschinenführer.

Im Unternehmen tat sich derweil einiges: Aus Zanders wurde 1980 eine Aktiengesellschaft, 1989 zog sich die Familie durch den Verkauf ihrer Stammaktien zurück, 1992 ging in der Nachbarhalle von Deterings PM 2 die neue, eine Milliarde D-Mark teuere PM 3 an den Start.

„Die war mir auch zu groß“, sagt der Papiermacher und blickt in die inzwischen leere Halle auf dem Zanders-Gelände, die ohne Maschine noch größer wirkt als mit Papiermaschine.

Zwangsrekrutierung

Doch auch für die PM 3 wurde er „zwangsrekrutiert“, wie Detering es nennt. Der Tagschichtführer bestellte ihn eines Tages ins Büro: „Du gehst jetzt an die PM “, hieß es. „Was kann ich dagegen tun?“ fragte er zurück, weil er nicht unbedingt wollte. „Personalabteilung!“ lautete die lapidare Anwtort.

Er fügte sich. Und rückblickend sei der Aufstieg von der PM 1 über die 2 zur neuen PM 3 genau richtig gewesen. „An der PM 1 hat man noch alles von Hand an der Maschine eingestellt, die PM 3 wurde nur noch über Bedienpulte in den Büros gefahren“, erinnert er sich. Wenn da was hakte, wusste er sich mit seinem Know-how also immer zu helfen.

Maschinen und Zicken

Zur Not auch gegen Anweisungen von oben. In einem Fall habe er spezielle Vorgaben des Betriebsleiters missachtet, erzählt er: „Der hatte uns Vorgaben zur Einstellung der Maschine gegeben, damit wurde das Papier aber nicht wirklich gut.“ Da habe er die Einstellungen eigenständig geändert, die Qualität sei „signifikant besser“ geworden.

Sein Meister brüllte, die Betriebsleitung zeigte sich aber lernfähig: „Lass die Arbeiter mal machen, wir haben nicht immer recht“, zitiert Detering vergnügt seine alten Vorgesetzten. Man zeigte sich wohl über die Fertigkeiten von Detering beeindruckt.

Zanders: Großes Z, alles anders.

Frank Detering zitiert eine Redewendung in der papierbranche aus den hochzeiten des unternehmens

Er war mit seinen Papiermaschinen quasi verwachsen, so der Eindruck wenn man ihn erzählen hört. Und er merkte, wenn etwas an seiner Maschine nicht stimmte. „Ich habe an den Vibrationen im Boden gespürt, wenn ein Papierabriss bevorstand“, sagt Detering – für die Produktion war solch ein Stillstand stets ein GAU.

Detering vergleicht seine alten Papiermaschinen auch mal liebevoll mit Menschen und deren „Zicken“. „Einen Vorteil gibt es bei den Maschinen: Da kann ich die Zicken wieder abstellen. Bei Menschen muss man damit leben“, lacht er herzlich.

Nudelworkshop

Früher sei „Dr. Stammen“ aus der Geschäftsleitung jedes Wochenende in den Hallen bei den Mitarbeitern gewesen, erinnert sich Frank Detering an die Zeit, als Zanders noch in Familienbesitz war. Mit dem Einstieg erster Investoren wandelte sich dann die Stimmung.„Das neue Management bestand auf das Du„, erzählt er, „konnte aber bei konkreten Fragen zur Produktion keine Antwort geben.“

Hintergrund

Ein Koloss für eine Milliarde D-Mark

Die Papiermaschine PM 3 steht für Superlative. Sie ist gigantisch, ihre Halle ist halb so groß wie der Kölner Dom, pro Minute spuckt sie genug Papier aus, um ein Fußballfeld zu bedecken. Vor 33 Jahren markierte sie den Übergang des Familienunternehmens Zanders zum internationalen Konzern – und damit auch den Anfang des Untergangs. Im zweiten Teil der Zanders-Serie schauen wir uns die Geschichte von Gebäude und Maschine an, bevor der Koloss in seine Einzelteile zerlegt wird.

Personal wurde abgebaut, unterstützen sollten unter anderem Workshops. „Wir mussten einmal im Team Nudeln herstellen und kochen“, grinst Detering. Die Herausforderung: Das musste einmal ohne und einmal mit Anleitung erledigt werden. Hierbei sollten er und seine Kollegen lernen, wie man mit weniger Personal auskommt.

„Hat sich nicht durchgesetzt, die haben nicht auf den Prozess geguckt,“ urteilt der Papiermacher. Der Personaleinsatz in der Produktion sei eh schon auf Kante genäht gewesen.

Trends verschlafen

Paul Herbert von International Paper, dem ersten Investor nach dem Ausstieg der Zanders-Familie, sei mal nachts durch die Hallen gelaufen, um Mitarbeiter von mehr Arbeitsstunden bei gleichem Lohn zu überzeugen. Da habe es einen Papierabriss in einer Maschine gegeben.

Der Manager war zu ungeduldig und brach seine Werbetour in eigener Sache kurzerhand ab. „Die halbe Stunde hätte er doch warten können.“

In einer dreiteiligen Reihe hatten wir die Geschichte des Papierunternehmens Zanders dokumentiert:
Zanders: Der Aufstieg einer großen Marke
Teil 1: Gründung und 120 Jahre Erfolgsgeschichte – 1822 bis 1945
Zanders: Steiles Wachstum, tiefer Fall
Teil 2: Vom Global Player zum Spielball der Investoren – 1945 bis 2021
Zanders: Vorbild oder Einzelfall?
Teil 3: Lehren aus der Vergangenheit

Kommunikationsdefizite, mangelnde Fach- und Detailkenntnis, zunehmende Distanz zwischen Belegschaft und Management – das alleine war jedoch nicht ausschlaggebend für den Untergang von Zanders. „Letztlich war Zanders auf dem Markt nicht mehr konkurrenzfähig. Andere produzierten billiger, die Qualität war nicht mehr gefragt“, zählt Detering Gründe auf, die aus seiner Sicht zum Untergang der Papierimperiums an der Gohrsmühle geführt hatten.

Hinzu seien Management-Fehler gekommen: Automatisierung? Recycling? De-Inking? (Herauswaschen von Tinte aus Recycling-Papier, die Red.) All dies sei bei Mitbewerbern selbstverständlich genutzt worden. Bei Zanders kam das später – zu spät?

Einmal Papierstadt, immer Papierstadt!

Frank Detering zur frage nach der identität von bergisch gladbach

„Wir haben das Geschäft lange Jahre nur auf Zanders von der Pike auf gelernt, während Mitbewerber ihr Personal auf speziellen Schulen ausbildete“, berichtet Detering. „Erst später fand unsere Weiterbildung auch extern statt. Da haben wir uns schon gewundert, welches Know-how andere Papierhersteller mittlerweile hatten. Auch wenn alle den Namen Zanders fast schon ehrfürchtig erwähnten.“

„Zanders ist insolvent“

An die letzten Tage auf Zanders kann sich Frank Detering noch gut erinnern. „Es war an einem Donnerstag. Meine Frau sagte, dass eine ihrer Kolleginnen angerufen habe – Zanders ist insolvent!“ Er habe dann im Betrieb angerufen, dort wurde die Hiobsbotschaft bestätigt.

aus dem archiv

Zanders wird endgültig liquidiert

Insolvenzverwalter Mark Boddenberg gibt bekannt, dass eine Rettung der Papierfabrik Zanders nicht mehr möglich ist. Die verbliebene Investor habe sich gegen ein weiteres Engagement entschieden habe. „Die Liquidation wird nun unumgänglich“, sagte Boddenberg dem Bürgerportal. Bürgermeister Stein spricht von einem schwarzen Tag für die ganze Stadt und kündigt einen Runden Tisch für die Mitarbeiter an.

„Sonntagabends zuvor hatte ich die letzte Schicht an der PM 3 verbracht. Zwei Stunden lief die über 150 Meter lange Maschine, spuckte zwei Rollen Papier aus, bevor wir frei haben sollten.“ Sie machten die Maschine sauber – ein letztes Mal.

Detering war da kurz vor dem 60. Lebensjahr, und hatte sich kaum noch Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz ausgerechnet. Doch es kam anders. Nach dem Aus von Zanders stellte ihn die Andreas Bauer Consulting ein.

„Ich bin seither dafür verantwortlich dass die Altlasten auf dem Zanders-Gelände so sicher wie möglich abgebaut werden“, erläutert der frühere Papiermacher. Dabei komme er auch mal in Bereiche auf dem Gelände, die er vorher noch nie gesehen habe – seine Erfahrung zeige ihm jedoch, wo es gefährlich werden könnte.

Alles anders auf Zanders

Großes Z, alles anders. So ist es nun auf dem Gelände gekommen, die Papiermacherstadt ist Geschichte. Kein Lärm, keine Hektik, keine Produktion. Der Wind pfeift durch die leeren Hallen. Ab und zu grüßt Frank Detering vorbeifahrende Arbeiter, die Stück für Stück den Abbau vorantreiben.

„Das ist hier noch alles so vertraut, und das Ende ist zugleich so traurig. Und das wird auch traurig bleiben“, gewährt er einen kurzen Einblick in seine Gefühlswelt. Er steht ja immer noch auf dem Areal, seinem einzigen Arbeitsplatz. Während viele andere Kollegen längst verschwunden sind.

„Einmal im Jahr trifft man sich, dann stehen uns Tränen in den Augen“, erzählt er. Die Wunde sitze tief, das werde sich nicht ändern. Und sie würden weniger, viele ehemalige Zanderianer seien ja jenseits der 50 gewesen.

Ein wenig Geschichte festhalten, das wäre es doch, sagt er wenn man ihn nach der Zukunft fragt. Und so freut er sich, dass die Künstlerin Iris Stephan auf dem Zanders-Gelände Kunst aus der Geschichte des Unternehmens macht.

Er selbst habe übrigens einen Film der PM 3 gedreht. So etwas müsse man auf dem Gelände an die Wand projizieren, um zu zeigen was mal gewesen ist.

Fassaden erhalten

Dass jetzt so viele Besucherinnen und Besucher auf das Areal strömen, das freut und irritiert ihn zugleich. „Warum haben die sich nicht früher für uns interssiert, als hier noch alles lief?“, fragt er.

Für künftige Nutzungen des Geländes zeigt er sich offen: Schule, Kultur, Leben und Arbeiten, das sei ihm recht. „Wichtig ist nur, dass die Außenfassaden der alten Gebäude erhalten bleiben“, wünscht er sich. Das man erkennen könne, wie es hier früher hier mal ausgesehen habe.

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Altes erhalten, und vielleicht öffnen. „Wenn ich mit meinen Enkeln mal in die Halle der PM 3 gehen könnte um ihnen zu zeigen wo ich früher gearbeitet habe, das wäre klasse.“

Langsam geht sein Arbeitsleben zu Ende, die Papiermaschinen sind weg: Die Taktgeber für seinen Alltag, die Taktgeber für sein Leben. „Papiermacher“, sagt er trotz aller Höhen und Tiegen mit fester Überzeugung, „Papiermacher würde ich immer wieder lernen!“

ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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3 Kommentare

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  1. Der Begriff „auf Zanders“ ist mir absolut neu. Meine Zeitgenossen und ich selber waren jahrzehntelang „bei Zanders“ und gelegentlich auch „beim Zander“ tätig. „Auf Zanders“ scheint mir von „auf Schalke“ entliehen zu sein – aber meinetwegen.
    Vielen Dank und Gruß, F. J. Becker

    1. Der Begriff ist neu. „Beim Zander“ bezog sich auf den Arbeitgeber, „auf Zanders“ ist vom Projektteam erfunden worden und bezieht sich auf das Areal der ehemaligen Papierfabrik.