Wer mit Bus oder Bahn unterwegs ist, kann einiges erleben. Erfreuliches und weniger Erfreuliches. Hier in Deutschland und im Nahen Osten. Mit diesem Beitrag unseres syrischen Kollegen starten wir eine Kolumne, die in loser Folge die neue Zuflucht Bergisch Gladbach aus der Perspektive der alten Heimat betrachtet. 

Wenn ich hier mit der Bahn fahren will, dann kaufe ich mir am Automaten eine Fahrkarte. Wenn ich einen Bus nehmen will, gehe ich zur Haltestelle und schaue auf den Fahrplan. Ist ja klar. 

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Bei uns, in den arabische Ländern, gibt es davon nichts. Das macht das Busfahren flexibler, aber auch ganz schön anstrengend. Dabei erlebt man Dinge, die nicht schön sind. Genauso wie in Deutschland. Aber das sind dann wieder ganz andere Sachen. 

In Syrien oder in Ägytpen stelle ich mich an den Straßenrand und halte nach einem Minibus Ausschau, der in meine Richtung fährt. Wenn er kommt, winke ich dem Fahrer mit einer Auf- und Abbewegung der Hand zu. Manchmal gibt es für bestimmte Fahrziele sogar bestimmte Handbewegungen.

Wir haben nur wenige feste Haltestellen. Es gibt auch keinen festen Zeitpunkt für die Abfahrt und die Ankunft. Der Busfahrer fährt seine Strecke und beeilt sich, möglichst viele Passagiere einzusammeln – bevor ein konkurrierender Minibus kommt.

Wenn er an der Endhaltestelle startet, muss der Fahrer warten, bis alle Plätze besetzt sind. Vorher fährt er nicht los. Manchmal warten 14 Leute eine halbe Stunde, bis auch der 15. da ist. In Deutschland macht sich auch ein Bus mit 60 Plätzen immer pünktlich auf den Weg, selbst wenn er ganz leer ist. Soviel zum Thema deutsche Sparsamkeit.

Wenn in einer syrischen Stadt am Nachmittag und Abend alle Leute nach Hause wollen, wird es am Busbahnhof sehr voll. Dutzende Fahrgäste drängeln sich vor der Tür. Schon bevor alle ausgestiegen sind drücken sich einige neue hinein.

Zu dieser Zeit sollte ein Mann ein guter Ringer mit breiten Schultern sein, um einen Sitzplatz zu bekommen und nach Hause zu kommen.

Frauen, Kinder und ältere Menschen bleiben in der Rushhour besser außerhalb des Ringes. Manchmal lässt ein freundlicher Fahrer die Frauen zuerst rein. Aber oft bleiben sie einfach stehen. Es kommt vor, dass Frauen und alte Leute zwei oder mehr Stunden warten müssen, um ihr Ziel zu erreichen.

Dennoch, wenn wir erst einmal im Bus sind, haben die Männer bei uns die Angewohnheit, ihren Platz für Frauen oder alte Leute freizumachen. Ein Respekt, den ich hier in Deutschland nicht oft bemerke. Ich sehe Zehnjährige, denen gar nicht auffällt, dass eine 80-Jährige neben ihnen steht.

Wenn ich mich in den syrischen Bus hinein gezwängt habe, um früh nach Hause zu kommen, fühlte ich mich oft wie eine ausgepresste Zitrone. Man wird hin und her geschoben, wie ein Kreisel herumgedreht.

Einige nutzen diese Situation wie Raubtiere, die kleine, ältere, kranke oder verletzte Tiere jagen. Sie fischen im Trüben, wie man auch bei uns sagt. Sie klauen im Gedränge aus Hosentaschen Handys oder Portemonnaies. Selbst wenn du ein guter Ringer bist und einen Platz erobert hast, bedeutet das nicht, dass Du als Sieger den Ring verlässt.

So passiert es bei uns im Nahen Osten.

Hier in Deutschland fühlt man sich in den Verkehrsmitteln wie Zuhause. Sehr bequem sitzt man im Bus oder in der Bahn. Manche Leute fühlen sich sogar wie in ihrem eigenen Wohnzimmer und nehmen keine Rücksicht darauf, dass die Verkehrsmittel für alle das sind.

Wenn ich in der S-Bahn vorne einsteige, muss ich manchmal einen Marathon durch den ganzen Zug laufen, um einen Sitzplatz zu finden. Obwohl eigentlich viele frei sind.

Viele Fahrgäste, besonders die Jugendlichen, stellen ihre Rücksäcke  auf den benachbarten Platz, ihre Jacken legen sie gegenüber ab. Einige hängen ganz tief in ihrem Sitz und nehmen mit ihren Füßen einen weiteren Sitz in Beschlag.

Wenn ich einen dieser Plätze nehmen möchte, würde ich gerne um Erlaubnis bitten. Dafür muss man aber Glück haben, dass die Person keinen Kopfhörer mit lauter Musik auf hat. Denn sonst muss man mit der Hand gestikulieren. Aber immerhin, wenn das geschafft ist, wird mir meistens Platz gemacht. Wenn auch nicht immer gerne.

Auf jeden Fall gibt es hier in Deutschland genug Plätze für alle Fahrgäste, niemand muss lange Zeit auf einen Platz warten.

Besonders am Wochenende sind viele Sicherheitsleute in der Bahn unterwegs. Damit Schlägereien, Provokationen und Belästigungen von Frauen verhindert werden.

Auch das gibt es bei uns nicht: Wenn Leute miteinander streiten, lässt der Fahrer beide aussteigen – und sie können ihre Schlägerei draußen fortsetzen.

Was jetzt besser ist? Ich kann mich nur schwer entscheiden. Hier ist die Fahrt mit Bus oder Bahn bestimmt bequemer und planbarer. Dafür ist es bei uns aufregender, sogar riskanter. Gerade das vermisse ich manchmal.

ist Journalist aus Syrien und lebt seit 2014 in Bergisch Gladbach. Er ist Teilnehmer des Projektes newscomer.de und freier Mitarbeiter des Bürgerportals.

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13 Kommentare

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  1. Worum geht es hier? Um Fluchtursachen? Um Kritik an der Entscheidung zur Flucht? Oder um einen simplen, m.E. sehr interessanten Vergleich der öffentlichen Verkehrsverhältnisse?

  2. Danke für den Link zur Studie der Hanss-Seidel-Stiftung. Die sagt, dass lediglich 15% der Flüchtliche von Ihren Familien geschickt werden. Nahezu 80% flüchten vor „Kriegerischen Auseinandersetzungen“ und „Angst vor Krieg und Gewalt“.
    Insofern ist der Einwand von Herrn Schreiner nicht unberechtigt. Frauen und Kinder in Ländern zurückzulassen in denen Gewalt und Unterdrückung herrscht, und das nicht nur auf Kriegsschauplätzen, sondern auch im Alltag, bereitet auch mir unbehagen.

  3. Sehr geehrter Herr Schreiner, ich habe die deutsche Fassung des Textes gemeinsam mit meinem Kollegen Adham Seef Aldin erarbeitet. Daher weiß ich, dass die Wörter „bleiben besser“ eine Beschreibung und keine weltanschauliche Aussage sind. Er schreibt auf, wie die Verhältnisse sind. Schlecht, da stimmen wir überein.

    Unbehagen bereitet mir dagegen, wie Sie das Wort Männer in Anführungszeichen setzen. Es gibt inzwischen gut untersuchte Gründe, warum die Familien zuerst versuchen, jungen Männern die Flucht zu ermöglichen. Syrien ist da übrigens eine Ausnahme. Dazu gibt es eine gute Studie der Hanss-Seidel-Stiftung: hss.de/download/publications/Asylsuchende_in_Bayern.pdf

  4. Lieber Wilfried Goesgens, in diesen Ländern können wir keine Fahrräder oder Motorräder benutzen, weil die Straßen und die Verhältnisse dafür nicht geeignet sind. Man muss es ehrlich sagen: Die Straßen sind bei uns richtig schlecht.

  5. Vielen Dank für die Schilderung dieser Eindrücke.

    Leider zeigt der folgende Abschnitt sehr deutlich das aktuelle Problem und die Wahrnehmung der Männer aus diesem Kulturkreis:

    „Frauen, Kinder und ältere Menschen bleiben in der Rushhour besser außerhalb des Ringes. Manchmal lässt ein freundlicher Fahrer die Frauen zuerst rein. Aber oft bleiben sie einfach stehen. Es kommt vor, dass Frauen und alte Leute zwei oder mehr Stunden warten müssen, um ihr Ziel zu erreichen.“

    Da wundert man sich nicht, dass diese „Männer“ Familien und Kinder zurücklassen und Ihr eigenes persönliches Wohl in den Vordergrund stellen. Jeder, der Frau und Kinder zurücklässt, sollte sich schämen.

  6. Hallo Herr Aldin,
    danke für den erfrischenden Vergleich! Wirklich zu schaetzen wusste ich meinen unklimatisierten Arbeitsplatz mit Blick auf die Abfahrt der A4 in Untereschbach auch erst, als ich eine Woche im Fensterlosen Meetingraum mit vereinzelten Ausfluegen in die Cubicle-farm in China zugebracht hatte.

    Da der Leidensdruck bei den ÖPNV-Benutzern unter diesen Umständen deutlich höher sein muss als hierzulande wuerde mich interessieren, wer warum diese Busse benutzt. Man wird wohl davon ausgehen koennen, das ein eigenes Auto zu teuer sein duerfte; wie sieht es hier mit Motorrad/Fahrrad aus?

  7. Ich fand den Artikel interessant und freue mich auf die nächsten Vergleiche zwischen den hiesigen uns arabischen Verhältnissen. Es geht ja nicht darum festzustellen was „besser“ ist, sondern nur die Schilderung von Dingen des täglichen Lebens hier und dort. Mich interessiert so etwas, zumal ich es selbst nicht erlebt habe oder erleben werde. Vor allem ist der Artikel von einem Menschen für Menschen geschrieben und nicht vom Fremdenverkehrsamt für Konsumenten. Die Bemerkung von Tiffy ist einfach nur hirnlos!

  8. Ich kann mich leider nicht vorstellen.dass Sie syrichen Verkehrsmittel wie in Deutschland Vergleichen haben .
    Ohne schieße Deutschland ist Deutschland und Arabische Länder sind arabische Länder

  9. An Milko Murat: Eine rhetorische Frage, um zu einem netten Ende zu kommen.

    An alle: Bitte bemühen Sie sich um eine sachliche Auseinandersetzung. Wenn Ihre Kommentare ernstgenommen werden sollen wäre es hilfreich, nicht anonym zu schreiben. Eine Löschung von Kommentaren behalten wir und vor.

  10. Lieber Adham Seef Aldin, ein wirklich bemerkenswerter „Vergleichstest“. Danke dafür! Ist die Frage „Was jetzt besser ist?“ wirklich ernst gemeint…?

    1. Aus dem Land der Dichter und Denker scheinen Ihre Vorfahren wohl nicht zu kommen, liebe Tiffy, denn Ihnen fällt ja schon das lesen und verstehen einfacher Texte außerordentlich schwer. Ihre Vorfahren wurden vielleicht auf einem Stück Treibholz in die Zivilisation gespült und jetzt können wir uns alle an Ihrem Hass auf die Menschheit erfreuen, weil Sie weder in der Schule, noch im Leben zu Bildung gekommen sind.
      Herzlich Willkommen in Deutschland, liebe Tiffy.
      Wie können wir Ihnen helfen Ihr eigenes Gehirn zu entdecken?

  11. Ja, stimmt, man muss bitten, dass einem ein Sitzplatzt frei gemacht wird. Aber wenn man das freundliche tut, habe ich noch nie erlebt, dass die Bitte abgeschlagen wird. Im Gegenteil, Kinder springen sofort auf, wenn man fragt. Hier muss man halt „den Mund aufmachen“, wenn man etwas braucht, auch wenn es der Sitzplatz in Bus und Bahn ist. Nur Mut! Sie schaffen das auch! :)

    Busfahren bei Schulschluss müsste sie ja dann an Ihre Heimat erinnern. :) Da braucht man auch die Ellenbogen und es ist voll und unbequem, wie in einer Sardinendose.