Rund 100 Menschen haben sich am Mittwoch in Bergisch Gladbach dem bundesweiten Bildungsprotest angeschlossen und für ein besseres Schulsystem demonstriert. Senem Roos von der Schüler:innenvertretung Rhein-Berg wertet das als Erfolg. Sie kritisiert den Widerstand einiger Schulen als antidemokratisch, fordert mehr Investitionen und berichtet von Nervenzusammenbrüchen – in der Schüler- und Lehrerschaft.

Wie war die Demonstration heute?
Senem Roos: Ich würde sagen, es war ein Erfolg. Wir hätten uns gefreut, noch mehr Leute zu sehen, vor allem Lehrer:innen und Schulleitungen. Leider haben wir Schüler:innen und auch die Lehrkräfte kein Streikrecht. Wir haben uns trotzdem entschieden, während der Schulzeit auf die Straße zu gehen, weil wir sonst kaum gehört werden.

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An manchen Schulen wurde gesagt, dass die Schüler:innen nicht teilnehmen sollen. Das ist total antidemokratisch und nicht hinnehmbar. Wir verstehen, dass einige Schüler:innen deshalb nicht teilnehmen wollten und haben solidarisch für alle ein Statement gesetzt.

Zur Person: Senem Roos (17) sitzt im Vorstand der Schüler:innenvertretung auf Bezirks- und Landesebene.

Hätten die Schulen euch mehr unterstützen sollen?
Es wurde gesagt, dass die Leitungen und die Lehrer:innen keine Möglichkeiten hätten, den Protest zu unterstützen. Das stimmt nicht ganz, es gab die Möglichkeit, eine Exkursion zur Demo anzumelden. Ein paar Klassen haben das gemacht, das war schön.

Unsere Forderungen sind auch für die Lehrkräfte relevant. Deshalb finden wir es wichtig, sie mit ins Boot zu holen.

Die aktuelle Situation ist einfach katastrophal.

Eure zentralen Forderungen sind „Investition, Umgestaltung und Mitbestimmung“. Die Landesschüler:innen-Vertretung NRW fordert ein Sondervermögen von 10 Milliarden Euro für Schulen, unter anderem für die dringend notwendige Renovierung von Schulgebäuden. Wie seht ihr die Lage hier in GL?
Also die aktuelle Situation ist einfach katastrophal. Wir lernen in maroden Schulgebäuden. Dass die Stadt Bergisch Gladbach jetzt eine Bestandsaufnahme aller Schulen gemacht hat, ist ein schöner Anfang. Allerdings finde ich die Prioritätenliste problematisch. Damit werden aus unserer Sicht die Schulen gegeneinander ausgespielt.

Wir sollten gemeinschaftlicher daran herangehen und in allen Schulen da investieren, wo gerade dringend Renovierungen nötig sind. Wir haben im Land Gelder, wir sollten sie richtig einsetzen.

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Das neue Schulbau-Konzept der Stadt Bergisch Gladbach besteht auf den ersten Blick aus zwei Listen: Schulen, die bereits bearbeitet werden und solche, die als Nächste dringend saniert oder neu gebaut werden müssen. Doch dahinter hat die Verwaltung eine ganz neue Struktur errichtet – um viel mehr und viel schneller zu bauen. Was es damit auf sich hat, erklären die Verantwortlichen jetzt grundsätzlich – und mit vielen wichtigen Details.

Der Haushaltsentwurf 2024 / 2025 sieht fast 115 Millionen Euro nur für die Schulen vor. Was sagst du dazu?
Das ist schön, mehr wäre immer besser. Deshalb tragen wir von der Bezirksschüler:innenvertretung auch die Forderung nach dem Sondervermögen für Schulen mit. Nicht nur für die Renovierung der Gebäude, sondern auch, um den akuten Lehrkräfte-Mangel zu beheben.

Ihr fordert mehr Lehrkräfte, das Ziel sind halbierte Klassen mit jeweils doppelt so vielen Lehrkräften. Das klingt erstmal ziemlich utopisch.
Ich glaube schon, dass das möglich ist. Wenn wir die verdiente Aufmerksamkeit bekommen würden, wäre das sehr realistisch umsetzbar. Man muss den Job attraktiver machen, ausländische Abschlüsse schneller anerkennen, Quereinsteiger:innen besser unterstützen, die Ausbildung überarbeiten. Man kann an vielen Punkten ansetzen kann.

Wie ist die Lage im Moment?
Dramatisch. Viele Lehrer:innen stehen kurz vor dem Burnout. Wenn sie mit uns über unsere mentale Gesundheit sprechen, geht es vielen von ihnen genauso wie uns. Deshalb sollten wir auch gemeinsam eine Bildungsreform fordern.

Es ist Normalität geworden, dass Schüler:innen in Klausurphasen Nervenzusammenbrüche haben.

Genau das ist eure dritte und letzte Forderung: die Umgestaltung des Bildungssystems. Individuelle Förderung, praktisches, lebensnahes Lernen, Digitalisierung, Reduzierung des Leistungsdrucks, gesunde, kostenlose Verpflegung an den Schulen. Das klingt großartig, und das fordern auch immer mehr Expert:innen. Wo ist das Problem des aktuellen Bildungssystems?
Das kann man nicht auf ein Problem reduzieren. Es gibt ganz viele Probleme an ganz vielen Ecken. Ein Punkt ist zum Beispiel der Leistungsdruck. Es ist Normalität geworden, dass Schüler:innen in Klausurphasen Nervenzusammenbrüche haben. Das ist nicht hinnehmbar.

Ein weiterer Punkt: Wir Schüler:innen werden nicht gehört, man geht nicht mit uns in den Austausch.

Deshalb fordert ihr auch mehr Mitbestimmung bei allen schulischen Entscheidungen, durch die rechtliche und finanzielle Stärkung der Schüler:innenvertretungen. Wie ist die Situation aktuell?
Finanziell ist es von Schule zu Schule total unterschiedlich. Das ist nicht in Ordnung, die Finanzierung sollte landesweit organisiert und vereinheitlicht werden, so dass alle Vertretungen unterstützt werden.

Rechtlich wäre es super wichtig, dass wir streiken und partizipieren dürfen. Wie sollen wir im echten Leben Demokratie verstehen, wenn wir sie in der Schule nicht leben können?

Was könnte eine Umstrukturierung des Bildungssystems gesamtgesellschaftlich bewirken?
Das könnte wahnsinnig viel bewirken. Wenn wir uns die aktuellen gesellschaftlichen Probleme anschauen, die Entwicklung der AfD, ist es wichtiger denn je, Schüler:innen vernünftig zu bilden.

Wenn wir es schaffen, über Geschichte und aktuelle Lagen aufzuklären, Schüler:innen zu politisieren, kann ein gesellschaftlicher Wandel passieren. Bildung ist unsere Zukunft. Deshalb braucht das ganze Bildungssystem eine Reform.

Wenn wir 100 Milliarden Euro für ein Sondervermögen Bundeswehr haben, sollten doch 10 Milliarden Euro für Schulen möglich sein.

Das ist allerdings eine gigantische Forderung. Habt ihr Ideen, wo man realistisch ansetzen könnte?
Das ist eigentlich ganz einfach: bei mehr Investition in Bildung. Wenn wir 100 Milliarden Euro für ein Sondervermögen Bundeswehr haben, sollten doch 10 Milliarden Euro Sondervermögen für Schulen möglich sein. Das ist reine Einstellungssache der Politik. Deshalb ist es grundsätzlich nicht utopisch.

Das Problem ist nur: Wir sind für die Politik keine interessante Gruppe, weil wir keine Wahlstimmen haben.

Wie geht es weiter?
Wir sprechen jetzt darüber, ob wir den Bildungsprotest fortführen.

ist freie Reporterin des Bürgerportals. Geboren 1984, aufgewachsen in Odenthal und Schildgen. Studium in Tübingen, Volontariat in Heidelberg. Nach einem Jahr als freie Korrespondentin in Rio de Janeiro glücklich zurück in Schildgen.

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11 Kommentare

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  1. Ich finde den Protest sehr mutig. In Zeiten in denen man alles mit Waffen überschwemmt. Und Milliarden in so was reinfließen lässt.

    Aber jeden Cent zwei mal umdreht bevor man ihn mal in Deutschland in Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser oder Unweltschutz investiert

    Armes Deutschland. Auch ich hätte zu meiner Schulzeit mich gefreut über kostenloses Essen oder trinken.
    Selbst eine saubere Toilette hatte ich in 12 Jahren schule nicht.

    Ich würde euren Protest gerne finanziell unterstützen.
    Liebe Frau Roos,
    Über eine Email Adresse würde ich mich freuen.

    Meine ich ernst. Macht weiter so ! Und wie gesagt: ich würde gerne dafür sorgen das die schüler beim Streik auf alle was essen und trinken haben.
    Vielleicht auch ein paar Transparente

  2. Frau Roos fordert bezüglich der Schulbaumaßnahmen: „Wir sollten gemeinschaftlicher daran herangehen und in allen Schulen da investieren, wo gerade dringend Renovierungen nötig sind. “ Genau das ist in den letzten Jahrzehnten geschehen: Es wurde notfallmäßig geflickt, wo es gerade dringend erschien. Deswegen befinden sich die Schulgebäude jetzt in einem bekanntermaßen katastrophalen Zustand. Mit der Priorisierungsliste möchte die Stadt das Problem und die erforderlichen Schulbaumaßnahmen endlich strukturiert angehen – aber das ist offenkundig nicht gewünscht. Also, liebe Stadt: weiter wie bisher!

    Weiter äußert sie: „Rechtlich wäre es super wichtig, dass wir streiken (…) dürfen.“ Unter einem Streik ist allgemein eine Arbeitsniederlegung zu verstehen, doch welche Arbeit wollen Schülerinnen und Schüler niederlegen? Und wen treffen sie damit – außer (auch wegen der gesetzlichen Schulpflicht) sich selbst und ihre Eltern?

  3. an die Schulleitungen und Lehrer: eine Beteiligung an DEMOKRATISCHEN Aktionen von Schulen („egal“ welcher Art) ist mindestens so wichtig wie vieles andere an (zum Teil auch überflüssigem) Lehr“stoff“.
    Gerade auch FÜR die DEMOKRATISCHE BILDUNG.
    Mal wieder eine Chance vertan.
    Danke den 100 Schülern, die trotz aller unverständlichen Widerstände in die Öffentlichkeit gegangen sind.
    Gedanken eines 72jähriger Rentner….

    1. Lieber Herr Thiel,
      das auf demokratischem Weg beschlossene Schulgesetz und die in unserem Land geltende Schulpflicht lassen nun einmal Streiks und Proteste zu Unterrichtszeiten nicht zu. Erwarten Sie, dass Schulleitungen sich nicht an Gesetze und Vorschriften halten? Hoffentlich doch nicht.
      Im Rahmen der rechtlichen Vorgaben haben Schulleitungen Exkursionen in Begleitung von Lehrkräften genehmigt, so dass ein rechtssicherer Rahmen für die Teilnahme an den Protesten für möglichst viele Schüler:innen geschaffen wurde.
      Die Alternative wäre gewesen, den Protest in den Nachmittag zu legen, dann hätten sich alle Schüler:innen und Lehrkräfte beteiligen können. Und ich als Mitglied einer Schulleitung hätte dann auch mitgemacht, weil ich die Anliegen der Schüler:innen an vielen Stellen teile und ihr Engagement schätze. Aber diesen Weg wollten die Schüler:innen nicht gehen, und so hatten wir dann leider auch keine Wahl,
      Beste Grüße
      Jörg Schmitter

    2. Hallo Herr Thiel, dem Foto nach zu urteilen haben auch Erwachsene an der Demo teilgenommen, d.h. es waren wohl weniger als 100 Schüler. Das ist tatsächlich nicht sehr viel, da es in BGL etwas über 9000 Schüler an weiterführenden Schulen geben dürfte.

      Wäre ich selbst Schüler, hätte ich nicht an der Demo teilnehmen wollen. Ich halte die vorgebrachten Forderungen und der Problembeschreibungen nämlich größtenteils für falsch. Insofern wäre zu fragen, ob eine erzwungene Demo-Teilnahme im Rahmen einer Exkursion undemokratisch sein könnte.

      1. Was ich daran falsch finde (z.B. gratis Verköstigung, Mitbestimmungsrecht bei allen (!) Entscheidungen, vermeintliche Unterfinanzierung als angeblicher Grund für Schulmisere (10 Mrd. sind übrigens eine komische Zahl, wer hat die denn ermittelt?), angeblicher Leistungsdruck, Vorgehensweise bei Gebäudesanierung, Zustand der Toiletten (wer geht denn auf die Toiletten und hinterlässt sie in diesem Zustand? Sowas müsste man organisatorisch und erzieherisch regeln.)) spielt doch keine Rolle. Wer die Forderungen gut findet, kann ja gern dafür demonstrieren. Natürlich idealerweise unter Beachtung der Schulpflicht. Wer die Forderungen nicht gut findet, sollte nicht über „Exkursionen“ zur Demo gezwungen werden. Es gilt da auch ein Neutralitätsgebot in der Schule.

      2. Guten Morgen Christian-Andreas,

        danke für deine Antwort. Ich stimme Ihnen zu, dass ich die Ausgestaltung als Exkursion schwierig finde. Allerdings finde ich es gut, wenn Schüler:innen für ihre Interessen aktiv werden und die Form ihres Protests selbstbestimmt wählen.

        Dein Ablehnung von kostenfreien Mittagessen, Mitbestimmung (ja, bei allen Fragen, die sie betreffen) und Instandsetzung heruntergekommener Gebäude kann ich nicht nachvollziehen. Inwiefern bist du davon negativ betroffen? Der Leistungsdruck ist ebenso tatsächlich vorhanden, nicht „angeblich“. Grundschüler:innen stehen schon mit 8 bis 9 Jahren unter dem massiven Druck, „Leistungen“ für den Wechsel an eine weiterführende Schule zu erbringen, obwohl wir inzwischen wissen, dass dies für den Lernerfolg nicht hilfreich ist. Auch hier frage ich mich, was für dich dadurch gewonnen ist, dass die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch die strukturellen Probleme an unseren Schulen gefährdet wird. Warum sollte es nicht der bessere Weg für die Gesellschaft sein, Bedingungen an den Schulen zu schaffen, die den Lernerfolg und die (psychische und körperliche) Gesundheit der Kinder und Jugendlichen begünstigen?

    3. Guten Morgen Ralph Thiel,
      ich habe die Gruppe der Demonstrierenden auch in live und vor Ort gesehen. Es waren max. 20 Schüler, vermutlich sogar noch weniger.

      1. Hallo Redaktion, ich bezweifele nicht, dass etwa 100 Personen demonstriert haben. Aber von diesen 100 Personen waren erkennbar viele weit älter als Schüler üblicherweise sind.