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Imran Siddique war vor 22 Jahren zum Studieren nach Deutschland gekommen. Zunächst mit Erfolg, doch dann kam es anders als geplant. Heute steht er sieben Tage die Woche im Kiosk „Op d’r Eck“, träumt aber immer noch von seinem Studium. Ein Porträt.
Ganz in der Ecke, halb versteckt hinter den Zeitschriften, hängt das einzige Überbleibsel aus Imran Siddiques Vergangenheit. Aber nicht etwa aus seinem Herkunftsland Pakistan. Es ist eine Karte – von Bergisch Gladbach. „Früher haben die Kunden manchmal nach dem Weg gefragt“, erklärt Siddique. „Heute haben ja alle Navis.“ Was das mit seiner Vergangenheit zu tun hat, dazu kommen wir später.
Seit 17 Jahren führt Siddique den Kiosk „Op d’r Eck“ in der Rommerscheider Straße 8. Jeden Tag, sieben Tage die Woche, steht der 44-Jährige hier von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr abends. Heute hat er Unterstützung: Sein ältester Sohn Aayan hat Ferien und hilft seinem Vater, die Kunden zu bedienen, während wir uns unterhalten.
Nebenbei lernt der Zehnjährige, wie ein kleines Unternehmen läuft, wie man mit Menschen umgeht, und Kopfrechnen übt er auch noch. Wie Siddique selbst: Sein Vater hatte eine kleine Bäckereiproduktion in Karachi, der größten Stadt Pakistans. Als Jugendlicher half er beim Sortieren, Verkaufen, Liefern.
Siddique unterbricht das Gespräch und wendet sich blitzschnell zu seinem Sohn, der gerade zwei Eis am Stiel verkauft: „Das ist dieses Jahr teurer geworden, macht jetzt 4,40 Euro.“
Er braucht ein bisschen, um aufzutauen. Die Gesprächssituation ist auch für mich ungewohnt. Siddique steht halb hinter der Theke, die Arme über seinem gestreiften Pullover verschränkt, ich stehe daneben, meinen Block auf einem Stapel Zeitschriften abgelegt, den Mantel noch an.
Mit der Zeit werden wir wärmer miteinander. Siddique steckt die Hände in die Hosentaschen, ich hänge mir den Mantel über den Arm. Aayan sitzt in der Ecke, schaut etwas an, ab und zu dringt ein kindliches Lachen zu uns. Siddique schaut liebevoll zu ihm rüber.
Ich frage, wie er nach Deutschland gekommen ist. Das war vor 22 Jahren, sagt Siddique, er wollte im Ausland studieren. Die englischsprachigen Unis waren zu teuer, durch Zufall kam er über das Goethe-Institut auf Deutschland. Und saß bald beim Sprachkurs in Zittau, einem 30.000-Seelen-Städchen an den Grenzen zu Polen und Tschechien.
„Das hat mir nicht so gefallen“, sagt er vorsichtig. Im Vergleich zu Karachi mit fast 15 Millionen Einwohnern war es sehr klein, damals auch ein bisschen gefährlich. Es gab ja nicht so viele Ausländer in den neuen deutschen Bundesländern, sie hätten abends nicht rausgehen dürfen, erklärt Siddique.
Dann besuchte er einen Freund in Köln. „Ich hatte sofort das Gefühl, dahin zu gehören“ sagt er und öffnet die Arme. Er bewarb sich, bekam einen Platz fürs Geografie-Studium. Im Studentendorf in Hürth fand er viele Freunde, Deutsche, Brasilianer, Leute aus allen möglichen Ländern. Jeden Abend wurde gegrillt, gefeiert. Siddique wird immer offener, gestikuliert, strahlt.
Er erzählt, dass er heute noch manchmal zum Studentendorf fährt und guckt. „Das war eine der schönsten Zeiten meines Lebens“, sagt er, ein bisschen wehmütig. „Viele nette Leute, viele tolle Erfahrungen und viele Sorgen um Geld.“ Er lacht.
Weil er weder Bafög noch ein Stipendium bekommen konnte, jobbte Siddique, unter anderem als Küchenhilfe. Irgendwann bekam er ein Angebot aus einer IT-Firma. Ein richtiger Job, richtiges Geld. Er sagte ja. Brach das Studium ab. Dann ging die Firma pleite.
„Das ist die einzige Sache, neben ein paar privaten Angelegenheiten, die ich heute anders machen würde“, sagt Siddique.
Ein Mann kommt rein, grüßt die beiden mit Namen und bietet Aayan Süßigkeiten an. Er habe so viele geschenkt bekommen, dass er gar nicht alles essen könne. Der Junge bekommt eine ganze Tüte, den Rest füllt Siddique in einen Karton, für die Kinder, die in den Kiosk kommen. Der Mann kauft Wasser, 5,70 Euro macht das, sagt Aayan. „Können wir heute nicht mal 5 Euro sagen, nachdem ich euch so viel geschenkt habe?“ Siddique lacht und nickt.
Dann ist er wieder bei mir. „Ich bin mit Leib und Seele Kartenleser“, sagt Siddique. Er liest viel, schaut Dokus über andere Länder, Kulturen und Geografien. Es gibt viele Orte, die er gerne einmal sehen würde. Patagonien, die Magellanstraße zwischen dem Atlantischen und dem Pazifischen Ozean, Kanada.
Aber auch Deutschland ist ein sehr schönes Land, findet er. Hier zumindest war er schon überall – und hat auch seine Lieblingsplätze. Heidelberg zum Beispiel, da fährt er mit jedem Besucher aus seiner alten Heimat hin. Allein schon, weil der pakistanische Nationaldichter Iqbal hier studiert hat. Siddique erinnert sich, wie er als Kind ein Gedicht von ihm über den Neckar gelesen hat.
Pakistan vermisst er ab und zu, seine Mutter lebt noch dort. Aber: „Hier ist schon lange mein Zuhause.“
Mittlerweile ist es 20 Uhr, es kommen immer weniger Kunden. Früher hat es abends noch einmal geboomt im Büdchen. Seit der Supermarkt um die Ecke bis 22 Uhr geöffnet hat, ist das anders. Seine Stammkundschaft sei die einzige Stärke, die ihn über Wasser halte, sagt Siddique.
Lohnt es sich überhaupt noch, einen Kiosk zu haben? „Ich verdiene nicht wahnsinnig viel Geld, aber ich lebe davon. Und ich habe die Einstellung: Hier kann ich mein Ding machen. Das hat seit 17 Jahren ganz gut geklappt.“ Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem leichten Grinsen, als er anfügt: „Ich habe sowieso nicht viel Zeit, Geld auszugeben.“
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Lebensmittel habe er immer genug (wieder das Grinsen), und alles andere funktioniere auch irgendwie. Nur die Schule, die werde immer teurer. Aayan hat letzten Sommer mit der Realschule angefangen, seine Schwester ist in der 3., der kleine Bruder in der 1. Klasse.
Soll Aayan einmal in seine Fußstapfen treten? Siddique schaut nach unten, lächelt, schüttelt den Kopf. „Das wünsche ich ihm nicht.“ Seine Kinder sollen studieren. Sie sollen seinen Traum leben. Wenn er nicht für ihn in Erfüllung gegangen ist, dann wenigstens für sie. Aber wer weiß, vielleicht geht Imran Siddique irgendwann selber noch einmal an die Uni und macht sein Geografie-Studium zu Ende.