Toni Höller im Vorführraum des Schildgener Roxy-Kinos

Heute kann man sich kaum vorstellen, dass es in Schildgen einst ein Kino gab. Zum Glück können Kläre und Toni Höller noch lebhaft davon erzählen, wie es war, das Roxy zu führen. Es befand sich im großen Germaniasaal – dessen Geschichte viele spannende Episoden bietet.

Für zwei Euro ins Kino, nach der Vorstellung auf ein Bier nebenan und dann zu Fuß nach Hause – klingt nach einem guten Samstagabend, oder? Im Schildgen der 1950er- und 1960er-Jahre war das Standardprogramm. Zu der Zeit hatte der kleine Ort nämlich ein eigenes Kino: das Roxy im Germaniasaal.

Vom Germaniasaal haben wir bereits in Kapitel zwei geschrieben. Er gehörte der Familie Quirl, zusammen mit der Gaststätte Zur Post. Blicken wir noch einmal kurz zurück in seine Geschichte, bevor wir uns dem Kino widmen.

Der Gastwirt, Maurermeister und Landwirt Jacob Fink errichtete den Germaniasaal im Jahr 1905 zusammen mit seinem Bruder und ein oder zwei Gehilfen. Der Bau erregte Aufsehen: Ein großer Festsaal, 33 Meter lang, 15 Meter breit, in dem kleinen Weiler Kämpen (der Name kam wohl vom lateinischen Begriff für Feld, campus, und lebt heute in der „Kempener Straße“ weiter). Die Siedlung bestand aus gerade einmal sieben Häusern.

Elisabeth Tondl, geborene Quirl, schrieb in ihrem Fotoalbum zu einer Innenaufnahme des Gebäudes: „Höchst erstaunlich ist, daß im Jahre 1905 so ein großer Saal gebaut wurde, wo doch zu dieser Zeit die Bevölkerung im großen Umkreis so gering war.“

Die Ansichtskarte aus den 1920er-Jahren zeigt links den Germaniasaal, rechts die Gaststätte Zur Post.

Gleich im nächsten Satz ergänzt sie: „Doch es wurden viele Feste drin gefeiert.“ Der Turnverein probte hier und führte einmal im Jahr sein Können vor, ebenso der Theaterverein mit Laienschauspielern aus der Nachbarschaft.

Wenn die Paffrather Kirmes anstand, ging es zwei Tage lang hoch her. Elisabeth Tondl:

„Damals feierten wir mit Paffrath Kirmes, da wir noch keine eigene Kirche hatten und zur Pfarrgemeinde Paffrath gehörten. Dann wurden Tage zuvor im Saal die Fenster geputzt, Gardinen gewaschen, der Fußboden geputzt und geschrubbt, die Tische und Bänke abgewaschen, sämtliche Gläser gespült. An den Kirmestagen die Tische mit weißen Tischdecken gedeckt, und auf jedem Tisch stand eine Vase mit frischen Blumen, und der Saal war mit Girlanden dekoriert.“

Im Jahr 1926 gründeten Fritz Quirl und sieben andere Schildgener die „Piefeköpp“, Schildgens erste Karnevalsgesellschaft. Damit zog auch die fünfte Jahreszeit in den Germaniasaal ein: Die Piefeköpp veranstalteten fortan jedes Jahr kurz vor Karneval eine große Sitzung.

Neben offiziellen Veranstaltungen fanden in dem Festsaal große Familienfeiern statt, bis der Betrieb im Zweiten Weltkrieg komplett zum Erliegen kam. Von November 1939 bis Mai 1940 belegten 180 deutsche Soldaten das Gebäude. Nach deren Auszug versteckte bekanntlich Christine Quirl, wann immer es brenzlig wurde, die Familie Lülsdorf im Heizungskeller, und der Saal selbst wurde zum Fahrradlager.

Roxy-Kino im Germaniasaal

Nach dem Krieg dauerte es noch einmal zehn Jahre, bis Schildgen ein Kino bekam. Toni Höllers Vater betrieb bereits die „Dünnwalder Lichtspiele“, als er 1955 das Roxy-Kino im Germaniasaal eröffnete. Ich sitze mit Achim Rieks zusammen in Höllers Garten, seine Frau Kläre schenkt Apfelschorle ein. Und sie fangen an zu erzählen.

Kläre und Toni Höller

Im großen Saal waren 396 Klappsitze in rotbraunem Cordsamt eingebaut worden. „Die Vorhänge waren taubenblau“, erinnert sich Kläre Höller. „Und ich war der sogenannte Filmverführer“, sagt Toni Höller in charmantem Ton. Der 85-Jährige hat den Schalk in den Augen.

Toni, Jahrgang 1934, hatte schon in Dünnwald gelernt, wie man Filme abspielt, und übernahm diese Aufgabe auch in Schildgen. „Ich war der jüngste Filmvorführer von Köln“, sagt er und fügt verschmitzt hinzu: „Am Anfang durfte ich das eigentlich gar nicht. Ich war nämlich erst 20 und damit noch minderjährig.“

Kaum wurde Höller volljährig, absolvierte er die notwendige Prüfung und erhielt sein offizielles „Befähigungszeugnis als Filmvorführer (Vorführerschein)“. Darin bescheinigte man ihm, „daß er befähigt ist, Bildwerfer zur Vorführung mit Normalfilm (Nitrofilm) selbständig zu bedienen“.

Darauf ist er bis heute stolz. Und bis heute erinnert er sich genau an die technischen Abläufe einer Filmvorführung: Jede Rolle enthielt etwa 20 Minuten Filmmaterial. Ein Kinofilm beanspruchte also ungefähr fünf Rollen. Wenn er Überlänge hatte wie „Vom Winde verweht“, waren es auch schon mal sechs oder sieben.

Im Vorführraum standen zwei Ernemann-Projektoren. Wenn eine Rolle endete, musste Höller zur nächsten überblenden, ohne dass die Menschen im Kinosaal etwas davon merkten. Das gelang ihm normalerweise ohne Probleme – er war ja geübt und sogar offiziell zertifiziert.

Einmal aber ging es schief: Es lief „Der Herr der sieben Meere“, eine Fechtszene. Höller startete die nächste Rolle. „Auf einmal stand da der Heimatfilm-Star Hans Moser mit einem Koffer am Bahnhof.“ Höller lacht herzhaft. Er hatte in die falsche Kiste gegriffen. „Da war vielleicht was los. Die Leute grölten und pfiffen. Ein Wechselbad der Gefühle.“ Höller legte schnell die richtige Rolle ein, und weiter ging es.

Kläre Höller vor der Kino-Reklame

Zurückspulen musste man die Rollen übrigens von Hand. Das übernahm Kläre Höller. Sie verkaufte auch die Eintrittskarten, ließ die ZuschauerInnen ein und wies ihnen die Plätze zu. Wer sich mit den vorderen Reihen begnügte, zahlte damals 90 Pfennig, weiter hinten waren es 1,20 Mark, und die Logenplätze kosteten 1,50 Mark.

Eine Vorstellung lief so ab: Zunächst kam die Reklame von den Geschäftsleuten aus Schildgen und Dünnwald. Das waren meist Dias ohne Ton. Sie zahlten dafür 10 Mark im Monat. Es folgten die großen Tabak- oder Autofirmen mit bis zu dreiminütigen Werbefilmen. Dann lief die Vorschau auf die kommenden Filme im Roxy und schließlich die „Wochenschau“, also die öffentliche Nachrichtensendung mit einem Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse in Deutschland und der Welt. Erst danach bekam das Publikum den Spielfilm zu sehen, für den es ins Kino gekommen war.

Jeden Tag gab es eine Vorstellung, am Wochenende zusätzlich Spätvorstellungen und sonntags um 15 Uhr auch noch einen Jugendfilm. „Die Menschen waren nicht so mobil, Fernseher waren damals auch noch nicht verbreitet“, sagt Kläre Höller. Und so strömten die SchilgenerInnen regelmäßig ins Roxy.

Ein Film brachte den Höllers besonders viele Gäste ein: „Die Sünderin“ mit Hildegard Knef. Die Werbung hatte – unfreiwillig – Pfarrer Wirtz übernommen. Und zwar direkt von der Kanzel aus: „Je mehr er predigte, dass man sich den Film als guter Christ nicht ansehen sollte, desto mehr kamen ins Kino“, sagt Toni Höller und lacht.

Er erzählt immer wieder von der Technik, die er im Vorführraum bediente, aber stets mit einem neuen amüsanten Dreh. Es ist offensichtlich, wie sehr ihn diese Tätigkeit fasziniert hat, und es ist erstaunlich, wie detailliert er sich daran erinnert.

Dabei war das Kino eigentlich nur ein Nebenjob. Toni Höller konstruierte tagsüber Traktoren bei Klöckner-Humboldt Deutz, Kläre war in der Metzgerei angestellt. Die zusätzliche Arbeit an den Abenden, am Wochenende und an den Feiertagen übernahmen sie vor allem, um den Eltern zu helfen, sagt sie. „Auch mit dickem Hals und Heizkissen.“

Hinweis der Redaktion: Die Serie „Schildgen wie es war” erscheint in Kooperation mit dem Begegnungscafé Himmel & Ääd, das für 2019 den gleichnamigen Nostalgiekalender herausgegeben hat. Der Kalender zeigt eine Auswahl aus den über 100 Fotos, die Schildgener BürgerInnen dafür eingereicht haben. Wir erzählen jeden Monat die spannendsten Geschichten hinter den Bildern. Bald auch als Buch!

Nach ein paar Jahren hatten sie keine Lust mehr, jeden Samstag und Sonntag, an Ostern und an Weihnachten zu arbeiten. Die Nachbarn Heinz und Anneliese Breuer stiegen mit ein. Toni Höller arbeitete seinen Vertreter in die Technik ein, dann konnte es losgehen: Heinz war der Filmvorführer, Anneliese die Kartenverkäuferin und Platzanweiserin, genau wie bei den Höllers. Die beiden Ehepaare wechselten sich nun wochenweise ab.

Bis Mitte der 1960er-Jahre: Immer mehr Menschen hatten Autos und Fernseher, das Autokino kam. Und die traditionellen Kinos begannen auszusterben. 1968 schloss auch das Roxy in Schildgen seine Türen.

Wie ging es mit dem Germaniasaal weiter?

Der Saal wurde umgebaut und vermietet, unter anderem als Lager für argentinisches Fleisch. Später pachteten Sophie und Franz Koschel mehrere Räume zur Straßenseite hin. Das Ehepaar hatte bereits einige Häuser weiter oben ein Lotto- und Schreibwarengeschäft geführt und zog nun in die größeren Räumlichkeiten in der Altenberger-Dom-Straße 113. Die Familie lebte auch in dem Gebäude, und zwar im hinteren Bereich des Saals.

Christel Polito erinnert sich noch, wie es war, bei Koschel einzukaufen: Man sagte ihm, was man wollte, zum Beispiel einen Bleistift. Er kam mit einem Karton voller Stifte und blieb solange stehen, bis man sich einen ausgesucht hatte. Genauso lief es mit den Zeitschriften. Wenn man als Jugendliche die Bravo kaufen wollte, war das schon mal ein bisschen peinlich.

1976 übernahm Christel Polito mit ihrem Mann Francesco den Schreibwarenladen. Als ihre Schwester Elisabeth Verbert das Gebäude erbte, entschieden sie und ihr Mann Franz, es abzureißen. Damit endete 1993 die Geschichte des Germaniasaals. An seiner Stelle steht heute ein modernes Wohn- und Geschäftshaus mit Optiker, Sonnenbank, Friseur und Apotheke.

Weitere Beiträge aus der Serie:

Zwei herrschaftliche Höfe, zwei Familientragödien

„Wir flitzten raus, wenn der Pfarrer nicht hinsah“

Wie sich die Schildgener Kinder vom Acker machten

Als man zum Trinken und Tanzen nach Schildgen kam

Die Königin und der Kolonialwarenladen

Von zähen Katholiken und der Vereinigung Schildgens

Die Kämpfe um Schildgen: ein reales Drama

„Jot esse un drenke hält Liev un Siel zesamme“

Von Steinzeit-Siedlern und mittelalterlichen Straftätern

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ist freie Reporterin des Bürgerportals. Geboren 1984, aufgewachsen in Odenthal und Schildgen. Studium in Tübingen, Volontariat in Heidelberg. Nach einem Jahr als freie Korrespondentin in Rio de Janeiro glücklich zurück in Schildgen.

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4 Kommentare

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  1. Schöner Bericht. Mein Onkel und meine Tante waren die Nachfolger von Höllers und haben mir oft von dieser Zeit erzählt. Mein Onkel ist wohl mal während des Filmvorführens eingeschlafen und hat daher nicht die nächste Filmrolle gestartet, was auch ein Pfeifkonzert nach sich zog. An die Zeit des Germaniasaals kann ich mich noch gut erinnern. Wenn man bei Herrn Koschel als Kind/Jugendliche in den Zeitungen blättern wollte, wurde man schonmal angeraunzt.

  2. Da kommen auch bei mir Kindheitserinnerungen auf. Und besonders freute es mich, dassin das neue Gebäude die „Germania“ übernommen und in die Wand eingelassen wurde.
    Nur noch ein Hinweis – seit vielen Jahren wird an jedem 1. Freitag im Monat um 19.30 Uhr in der Krypta der Andreaskirche ein Film gezeigt. Am kommenden Freitag ist es der Film „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“.

  3. Liebe Frau Geyer, ich gratulieren Ihnen zu Ihrem -wieder einmal- liebevoll und sorgfältig recherchierten Artikel. Das Kino der Eltern Höller in Dünnwald gehört zu meinen Kindheitserinnerungen. Und ich habe auch von da aus den Skandal um den Film „Die Sünderin“ und die groteske „Werbung“ von der Kanzel aus miterlebt. Ebenso wie eine noch groteskere Predigt gegen Tarzan- Aufführungen. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und Anerkennung. Mit freundlichen Grüßen,
    Engelbert Manfred Müller