Jutta Unterbusch. Fotos: privat

Jutta Unterbusch hatte als Jugendliche mit der Kirche abgeschlossen. Jetzt ist sie frisch gebackene Predigerin der Heilig-Geist-Kirche in Hand. Wie sie dorthin gekommen ist und was Kirche heute für sie bedeutet, lesen Sie in diesem Porträt.

„Liebe Gemeinde, ich möchte Ihnen heute einen Lichtblick mitgeben. Allerdings muss ich Sie zuerst mit dem Predigtext des heutige Tages konfrontieren.“

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Diese zwei Sätze sagen ziemlich viel über Jutta Unterbusch. Es waren ihre ersten zwei Sätze als Prädikantin der Heilig-Geist-Kirche. Vor zwei Wochen wurde die 50-Jährige dort offiziell als Predigerin eingesegnet. Und dann kündigt sie gleich ihren Predigttext als eine Zumutung an?

Jutta Unterbusch lacht. „Hier in der Kirche kann ich so sein, wie ich bin.“ Dazu gehört für sie, sich an Texten zu reiben. Aber auch, den Menschen Heimat zu geben, die sie zu Hause vielleicht nicht hatten. Einen Lichtblick.

Wenn sie das nicht könnte, stünde sie wohl heute nicht auf der Kanzel. Denn die Kirche war für sie lange mit sehr schlechten Gefühlen verbunden.

Sie wuchs im Siegerland als eines von fünf Kindern auf. Die Eltern waren Vertriebene aus Pommern und Schlesien. Die Mutter übernahm eine Kindergarten-Leitung, als Unterbusch acht Wochen alt war. Am Wochenende schickte sie die Kinder in den Kindergottesdienst, um ihre Ruhe zu haben.

Der Pfarrer sagte dort Dinge wie: Was euch passiert, seid ihr selbst schuld. Unterbusch, die in dieser Zeit große Probleme hatte, fühlte sich alleine, wertlos, verurteilt. Gott, so schien ihr, war jemand, der straft.

Mit 14 ging sie zur Konfirmation, dann besuchte sie die Kirche nur noch zu Hochzeiten oder an Weihnachten.

Während des Abiturs begann sie in einer Kneipe zu kellnern, deren Inhaber bald darauf das „Paas“ in Bergisch Gladbach übernahmen. Weil sie vor Ort keine guten Leuten kannten, nahmen sie ihre Angestellten kurzerhand mit.

„Ich bin eher ein Menschenmensch.“

Eigentlich wollte Jutta Unterbusch sich nie mit einem Kunden einlassen. Aber dann lernte sie diesen Mann kennen, der sie am liebsten sofort heiraten wollte. Ihr war schnell klar, dass sie das auch wollte. Aber zuerst wollte sie eine Ausbildung abschließen. Denn: „Ich habe von klein auf nebenbei gejobbt, es war mir wichtig, unabhängig zu sein.“

Nach einem abgebrochenen Chemie-Studium ließ sie sich an der Uniklinik Düsseldorf zur Diätassistentin ausbilden. So konnte sie weg von zu Hause, kam im Schwesternwohnheim unter und musste kein Schulgeld bezahlen. Aber auch da fiel ihr bald auf: „Ich bin eher ein Menschenmensch.“

Als sie 24 war, heiratete sie ihre Paas-Liebe. Zog zu ihm nach Schildgen, bekam eine Tochter und später einen Sohn.

Durch Zufall kam sie in Kontakt mit dem evangelischen Pfarrer, der sie fragte, ob sie eine integrative Spielgruppe betreuen wolle. „Das war für mich der erste Kontakt mit der Kirche, der sich gut angefühlt hat“, sagt Unterbusch. Ihre Tochter sah, bis sie acht oder neun Jahre alt war, nicht, dass die anderen Kinder in der Spielgruppe eine Behinderung hatten. Das fand Unterbusch toll.

Nach einem Umzug nach Paffrath ging sie, viele Jahre nach den Erfahrungen in der Kindheit, noch einmal in einen Kindergottesdienst, den eine Freundin betreute. Diesmal um selbst eine Stunde Ruhe zu haben. Und da merkte sie: Es gibt hier Antworten für mich.

Ein gutes Gehör für andere

Es war nicht einfach für Jutta Unterbusch, zur Kirche zurückzufinden. Aber irgendwie rutschte sie hinein, betreute ehrenamtlich Krabbelgruppen, half in der Bücherei, Gemeindegruppen. Schließlich wurde sie Gemeindesekretärin. Hielt Andachten im Kindergarten. Dabei lernte sie viel: „Hoch theologisieren kann jeder, aber das für Kinder runterzubrechen, das ist eine Kunst.“

Dann wurde sie vom Pfarrer der Heilig-Geist-Kirche in Hand gefragt und arbeitete dort im Gemeindebüro. Hier übernahm sie bald auch Besuchsdienste: „Viele Seniorinnen und Senioren sind einsam, die freuen sich unwahrscheinlich über jede Geste!“

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Aufgrund der eigenen schwierigen Erfahrungen in der Kindheit hat Unterbusch ein gutes Gehör für andere Menschen. Sehr schnell bekam sie Geschichten erzählt. Es machte sie stolz und glücklich, wie viel Vertrauen ihr entgegengebracht wurde.

Gleichzeitig merkte sie, dass sie lernen musste, sich abzugrenzen, und begann eine Diakonenausbildung. Dabei bemerkte sie, dass ihr auch das Predigen gefiel – zu ihrer eigenen Überraschung, denn als Kind und Jugendliche hatte sie immer nur gehört, sie rede „zu schnell, zu langsam, zu undeutlich.“

Und so begann sie auch noch eine Ausbildung zur Prädikantin.

Was sind Prädikant:innen? In der Evangelischen Kirche können auch Laien, also Menschen, die nicht Theologie studiert haben, für den öffentlichen Predigtdienst und zur Verwaltung der Sakramente Taufe und Abendmahl beauftragt werden. Sie durchlaufen eine Ausbildung und werden dann als Prädikant:innen, also Prediger:innen ordiniert.

Weitere Infos gibt es zum Beispiel hier.

Als Prädikantin muss sie pro Jahr mindestens zwei Gottesdienste und zwei Kasualien – Beerdigungen, Taufen oder Hochzeiten – halten. Bei letzteren lässt sie sich von den vorbereitenden Gesprächen leiten und versucht, möglichst viele Wünsche zu erfüllen.

„Sofern die nicht total atheistisch oder gotteslästerlich sind, kriege ich das in der Regel auch hin“, sagt Unterbusch. Und fügt schmunzelnd an: „Wenn sich ein Brautpaar ‚Highway to Hell‘ wünscht, ist es vielleicht schwierig. Aber selbst das kann man irgendwie integrieren.“

Für Gottesdienste nimmt sie sich jeweils einen Bibelabschnitt vor. Meistens findet sie darin etwas, das sie stört. So wie in dem Predigttext zu ihrer Ordination.

Da kündigt Jesus an, dass Finsternis, Heulen und Zähneklappern kommen werden. Sie setzte sich damit auseinander und kam zu dem Schluss: Die Finsternis könnte daher rühren, dass wir um uns selbst kreisen und damit immer wieder gegen die Wand fahren.

Der Weg aus der Finsternis ist für sie, sich einzugestehen, dass es alleine nicht geht – und andere um Hilfe zu bitten. „Das war spannend für mich, wie ich von vielen Allgemeinplätzen zu dem gekommen bin, was mir wichtig ist.“

Indem sie sich selbst zeigt, will Unterbusch andere dazu inspirieren, das gleiche zu tun. Die Menschen willkommen heißen. Denen Heimat geben, die sie zu Hause nicht hatten.

ist freie Reporterin des Bürgerportals. Geboren 1984, aufgewachsen in Odenthal und Schildgen. Studium in Tübingen, Volontariat in Heidelberg. Nach einem Jahr als freie Korrespondentin in Rio de Janeiro glücklich zurück in Schildgen.

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