Dass es so etwas wie Frauenhäuser gibt, dürften die meisten Menschen wissen. Vielleicht auch, dass es in Bergisch Gladbach eines gibt – wo genau ist streng geheim, denn die Frauen müssen geschützt werden. Wovor genau? Wer sind diese Frauen? Wie leben sie im Frauenhaus, für wie lange? Und wer bezahlt das alles? Darüber haben wir mit Ruth Bernhardt gesprochen, der Leiterin des Frauenhauses Bergisch Gladbach.

Wir treffen Ruth Bernhardt in der Frauenberatungsstelle in der Bergisch Gladbacher Innenstadt. Warum nicht an ihrem Arbeitsplatz im Frauenhaus? Undenkbar. Der Ort ist streng geheim. Das ist notwendig, um die Frauen, die dort leben, zu schützen.

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Ruth Bernhardt ist im Rheinisch-Bergischen Kreis geboren und aufgewachsen, hat in Koblenz Soziale Arbeit studiert. Frauenthemen hatten sie schon immer bewegt, aber in einem Frauenhaus zu arbeiten, war ihr nicht in den Sinn gekommen.

Dann stieß sie 2021 zufällig auf eine Stellenausschreibung des Frauenhauses Bergisch Gladbach. Und wusste sofort: „Das ist mein Job.“

Im April 2023 hat sie dann die Leitung des Frauenhauses übernommen. Das sei gar nicht ihre Ambition gewesen. Aber: „Da haben Frauen was Tolles geschaffen, und es ist schön, das weiterzuführen.“

Das Frauenhaus

Seit 1992 bietet das Frauenhaus Bergisch Gladbach einen Schutzraum für Frauen und ihre minderjährigen Kinder, mit derzeit neun Plätzen.

Die Frauen kommen aus ganz unterschiedlichen Situationen. Sie haben psychische oder körperliche Gewalt erfahren oder sind akut davon bedroht, in der Partnerschaft oder der Ursprungsfamilie oder beides. Es kommen Frauen, die von Zwangsverheiratung bedroht oder betroffen sind, Frauen, die durch ihre Familie und / oder ihren Partner massiv eingeschränkt werden, die nicht frei über ihre finanziellen Mittel verfügen können und auch sozial eingeschränkt werden.

Fast alle haben von klein auf gelernt, dass sie als Frauen weniger Wert hätten als Männer. Viele sind unselbstständig, haben noch nie eine Wohnung angemietet oder ein Konto eröffnet, erzählt Bernhardt.

Die Frauen

Die meisten Frauen sind zwischen 26 und 40 Jahre alt (43 Prozent), es kommen aber auch viele jüngere Frauen (36 Prozent waren 18 bis 25 Jahre alt) und einige über 40-Jährige. (Alle Zahlen sind im Jahresbericht 2023 des Trägervereins Frauen stärken Frauen nachzulesen.)

Bei den älteren Frauen sind die Kinder in der Regel schon aus dem Haus; die Kinder der jüngere Frauen sind überwiegend unter fünf Jahre alt (72 Prozent).

Im letzten Jahr hatten 86 Prozent der Frauen einen Migrationshintergrund. Allerdings, betont Ruth Bernhardt, bedeute das nicht, dass Gewalt ein Migrationsproblem ist.

Das bestätigt das jüngste „Lagebild Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamts. Im Jahr 2022 sind 240.547 Menschen Opfer von Häuslicher Gewalt geworden – 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr. 71 Prozent der Opfer sind weiblich.

Hintergrund: „Häusliche Gewalt“ ist ein Stichwort und kein eigener Straftatbestand. Darunter fällt jede strafbare Handlung im Kontext einer partnerschaftlichen oder familiären Beziehung unter einem gemeinsamen Dach (insbesondere innerfamiliäre Gewalt zwischen Eltern, Kindern und Geschwistern).

Von den 240.547 Fällen häuslicher Gewalt waren 157.818 „Delikte der Partnerschaftsgewalt“. Hier waren 80 Prozent der Opfer weiblich; 69 Prozent waren deutsche Staatsangehörige.

Frauen jeden Alters und jeder ethnischen Herkunft, aller Einkommens- und Bildungsschichten werden Opfer von Gewalt.  

„Das macht niemand aus Spaß, da steckt eine sehr große Not hinter“

Ruth Bernhardt

Woran liegt es dann, dass so viele Frauen mit Migrationshintergrund ins Frauenhaus gehen? Sie sind häufig stärker von ihren Partnern abhängig als andere Frauen, aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und dem fehlenden Wissen über hiesige Gesetze. Teilweise ist auch ihr Aufenthaltsrecht an die Ehe geknüpft.

Ruth Bernhardt fügt hinzu: „Die Frauen haben oft geringere soziale und finanzielle Ressourcen.“ Wer hier geboren und aufgewachsen sei, habe dagegen in der Regel ein soziales Netzwerk, kenne eher mögliche Hilfsangebote.

So ist der Anteil in der Frauenberatungsstelle umgekehrt: 81 Prozent der Frauen, die sich hier beraten lassen, sind Deutsche, zwei Drittel davon ohne jegliche Zuwanderungsgeschichte. Wenn man so will, suchen diese sich Hilfe, bevor es zur Eskalation kommt und nur noch der Weg in ein Frauenhaus bleibt.

Denn der Weg ins Frauenhaus bedeutet für die Betroffenen, ihr altes Leben abzubrechen, ihre Beziehung, ihre Familie, ihren Heimatort zu verlassen, die Kinder aus ihrem sozialen Umfeld herauszunehmen, um in einer anderen Stadt, möglichst weit weg, von vorne anzufangen.

„Das macht niemand aus Spaß, da steckt eine sehr große Not hinter“, sagt Bernhardt.

Die Arbeit im Frauenhaus

Viele Frauen kommen mit nichts als einer Tüte Kleidung – „und einem gewaltigen Chaos“, berichtet Bernhardt. Die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen unterstützen die Frauen dann dabei, das Chaos zu sortieren, und begleiten sie beim Start in ihr neues Leben.

Das bedeutet zunächst einmal viele administrative Aufgaben: Regelung der finanziellen Mittel – Konto eröffnen, Bürgergeld-Antrag stellen, Kindergeld aufs eigene Konto überweisen lassen –, eventuell Schuldenregulierung, Klärung aufenthaltsrechtlicher Fragen.

Schulpflichtige Kinder müssen sobald wie möglich einen Schulplatz erhalten, bisherige Mietverhältnisse gekündigt, Sachen aus der Wohnung geholt werden. Die Frauen und Kinder werden umgemeldet, Umgangs- und Sorgerechtsfragen geklärt.

Für noch nicht schulpflichtige Kinder gibt es zwei Erzieherinnen im Haus, die die Kinder nach Bedarf betreuen. Die Frauen haben mindestens zwei Termine die Woche mit einer der drei Sozialpädagoginnen – jede hat eine feste Bezugsperson.

Denn neben der organisatorischen Unterstützung geht es auch darum, Vertrauen aufzubauen, Gesprächspartnerin bei der Aufarbeitung des Erlebten zu sein und die Frauen für die Zukunft zu stärken.

Zusätzlich gibt es, sobald die ersten, dringendsten Angelegenheiten erledigt sind, separate Termine zur Wohnungssuche und einmal pro Woche ein Hausgespräch, bei dem mit allen Bewohnerinnen Alltagsthemen besprochen, eventuelle Konflikte geklärt, Aufgaben verteilt werden.

Der Alltag der Frauen

Ansonsten leben die Frauen im Haus wie in einer „zusammengewürfelten WG“, so nennt es Bernhardt. Sie versorgen sich und ihre Familien selbst, es gibt eine große Wohnküche. Sie sollen sich auch selbst organisieren und einen halbwegs normalen Alltag leben.

„Die Frauen tun sich gegenseitig unheimlich gut“, sagt Ruth Bernhardt. Viele waren vorher isoliert. Jetzt leben sie mit anderen zusammen, die ähnliches erlebt haben wie sie selbst.

So schließen sich auch viele der Frauen zusammen und unterstützen sich, passen wechselseitig auf die Kinder auf.

Einmal die Woche finanziert das Frauenhaus ihnen aus Spendengeldern eine Aktivität, Schwimmen, Kino, Zoo. Damit sie auch schöne Momente erleben. Es gibt Gruppenangebote wie Basteln oder gemeinsame Ausflüge, Feierlichkeiten.

„Das Frauenhaus bedeutet für die Frauen einen Neuanfang“, sagt Bernhardt. Die Gewalt, die die Frauen erlebt haben, ist beendet. Die Frauen nehmen ihr Leben nun selbst in die Hand. Nachdem sie zuvor oft eingebläut bekommen hatten, dass sie nicht alleine klarkommen würden, gibt ihnen das ein gutes Gefühl.

Sie erleben hier auch oft erstmals Freiheit. Viele würden fragen, ob sie sich abmelden müssten, wenn sie das Haus verlassen. Müssen sie nicht. Solange kein Grund besteht anzunehmen, dass die Gefährder wissen, wo sie sind.

Das ist selten der Fall, aber wenn das passiert, wird die Frau sofort in ein anderes Frauenhaus gebracht.

Angebot und Nachfrage

In ganz Deutschland gibt es rund 400 Frauenhäuser und Schutzwohnungen mit insgesamt 6800 Plätzen. Jedes Jahr flüchten rund 17.000 Frauen mit oder ohne Kinder in eines davon. Damit ist der Bedarf jedoch bei weitem nicht gedeckt.

Im Jahr 2022 hatten die Frauenhäuser in Deutschland an durchschnittlich 303 Tagen keine Kapazitäten für Neuaufnahmen. Das ergab eine Recherche von Correctiv.

Laut der so genannten Istanbul-Konvention, einem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, müsste es in Deutschland rund 21.000 Plätze für Frauen und Kinder geben. Die Konvention ist seit 2018 in Deutschland geltendes Recht.

Dass der Ausbau nicht vorankommt, liegt unter anderem daran, dass es bislang keine bundeseinheitliche und verlässliche Finanzierung der Frauenhäuser gibt.

Das Frauenhaus Bergisch Gladbach finanziert sich zum einen über einen Festbetrag und eine Platzpauschale des Landes Nordrhein-Westfalen. Davon werden zum Großteil Personal- und Sachkosten getragen.

Die wöchentlichen Aktivitäten und monatlichen Bücherkäufe sind direkt aus Spenden finanziert. Die Kosten für die Unterkunft der Frauen und ihre psychosoziale Betreuung werden über das Bürgergeld vom Jobcenter bezahlt. Also über die individuellen Leistungsansprüche der Frauen selbst.

Spenden gehen an den gemeinnützigen Trägerverein Frauen stärken Frauen e.V., sie sind steuerlich abzugsfähig:

Kreissparkasse Köln
IBAN DE29 3705 0299 0340 0029 33
BIC COKSDE33

Die Platzvergabe

Das heißt auch: Wenn eine Frau Sozialhilfe bekommt, muss das Frauenhaus erst prüfen lassen, ob ihr Aufenthalt finanziert werden kann. Einer der Punkte, den Ruth Bernhardt und ihre Mitarbeiterinnen abfragen müssen, wenn jemand anruft und nach einem Platz fragt.

Das passiert in der Regel immer dann, wenn sie im Frauen-Info-Netz, der zentralen Webseite für alle Frauenhäuser in NRW, einen freien Platz melden. Ruth Bernhardt: „Wenn wir grün haben, klingeln alle Telefone.“ Innerhalb kürzester Zeit sind die Plätze wieder belegt.

Es sind betroffene Frauen, Familienmitglieder oder Institutionen, die anrufen. Die Frauen müssen nicht nachweisen, dass sie von Gefahr betroffen oder bedroht sind. „Der Zugang zur Hilfe soll uneingeschränkt und schnell möglich sein, sobald eine Frau entscheidet, die Gewaltsituation verlassen zu wollen“, sagt Bernhardt.

Wenn eine Frau nach der telefonischen Prüfung der Voraussetzungen aufgenommen wird, vereinbaren die Mitarbeiterinnen ein Treffen mit ihr an einem zentralen Ort. Die Adresse des Frauenhauses erfährt am Telefon niemand. So wird sichergestellt, dass es nicht Angehörige einer Bewohnerin sind, die versuchen, ihre Adresse zu bekommen.

Lange Verweildauer

Seit Corona hat sich eine Sache grundsätzlich verändert: Blieben die Frauen früher durchschnittlich drei bis sechs Monate im Frauenhaus, ist es heute über ein Jahr. Durch die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt ist es sehr schwierig geworden, bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Die längere Aufenthaltsdauer hat eine gute Seite. Die Sozialpädagoginnen können die Frauen intensiver begleiten und stärken. Dadurch schaffen mehr Frauen den Schritt in ein selbstständiges Leben in einer eigenen Wohnung. Die Zahl der Frauen, die zurück zum Gefährder gingen, hat sich laut Jahresbericht des Trägervereins „Frauen stärken Frauen“ halbiert.

Allerdings, so schön diese Entwicklung ist: Je länger die Frauen im Frauenhaus bleiben, desto weniger Frauen kann geholfen werden – denn ein neuer Platz für eine Frau in Not kann nur vergeben werden, wenn eine Frau aus dem Frauenhaus auszieht.

Letztes Jahr fanden insgesamt 42 Frauen im Frauenhaus Schutz. Im Jahr zuvor waren es noch elf Frauen mehr gewesen.

Anlaufstellen für Frauen, die von Gewalt betroffen sind (und Menschen, die sich um eine Frau in ihrem Umfeld Sorgen machen):

Anlaufstellen für gewaltbetroffene Männer:

Anlaufstelle für gewaltausübende Menschen:

  • Wer gewalttätig gegenüber Partnerin oder Partner, gegenüber der Familie oder dem eigenen Umfeld ist und das ändern will, findet bundesweit Beratungsangebote. Vermittlung in eine nahegelegene Einrichtung über die Geschäftsstelle der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit täglich von 8 bis 15 Uhr: 0151 156 31777

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ist freie Reporterin des Bürgerportals. Geboren 1984, aufgewachsen in Odenthal und Schildgen. Studium in Tübingen, Volontariat in Heidelberg. Nach einem Jahr als freie Korrespondentin in Rio de Janeiro glücklich zurück in Schildgen.

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2 Kommentare

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  1. Dankeschön für diesen informativen und durch die Listung der Beratungsstellen für verschiedene Betroffene auch praktisch nützlichen Artikel. Es gibt noch so viel zu tun…Beste Wünsche für Laura Geyer zum Weltfrauentag ️

  2. Vielen Dank für diesen interessanten und informativen Artikel. Dass die Orte der Frauenhäuser geheim sind und die Frauen alle Kontakte aus ihrem alten Leben hinter sich lassen, war mir nicht bewusst.

    In meinen früheren Berufsalltag als Angestellte in Führungsposition habe ich erlebt, dass es Männer viel einfacher haben als Frauen. Frauen müssen immer doppelt so gut sein, um die gleiche Position oder Akzeptanz zu erhalten. Auch in meiner jetzigen beruflichen Selbständigkeit erlebe ich öfter Respektlosigkeit, gegen die ich aber in der Lage bin, mich zu wehren.

    Was passiert aber mit Frauen, die den Hintergrund nicht haben, nicht das Selbstbewusstsein, nicht den Rückhalt von geliebten Menschen? Die schon in ihrer Prägung vermittelt bekommen haben, dass Männer besser, mehr wert oder auch einfach die Entscheider sind. Die ihr Leben lang in Abhängigkeit gelebt haben.

    Ja, es ist so wichtig, dass es Frauenhäuser gibt und Menschen, die diese wichtige Arbeit dort leisten. Vielen Dank für diesen Artikel!