Immer mehr Kinder kommen nachmittags hungrig in die Jugendzentren, hatte die Katholische Jugendagentur im Dezember Alarm geschlagen. Deshalb wird dort jetzt gekocht und gegessen. Wir haben bei der Tafel, im Jugendzentrum Cross und im Café Leichtsinn nachgefragt: Wie viele Kinder es betrifft und wie das abläuft, mit Wochenessen, Obstteller und Yum Yum.

Laute Musik läuft im Jugendzentrum Cross. Hinten im Raum steht ein Junge mit VR-Brille, seine Hände greifen immer wieder in die Luft. Ein paar andere Jugendliche scrollen auf ihren Handys, tief in Sofa und Sessel gelehnt, zwei weitere sitzen an einem Tisch.

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„Hier sind eigentlich immer welche dabei, die Hunger haben“, sagt Leiterin Manuela Muth. Sie schaut sich um. „Heute sind es zwei bis drei.“

Anfang Dezember hatte die Katholische Jugendagentur (KJA) alarmiert: Immer häufiger kämen Kinder hungrig in die neun Jugendzentren der KJA. Dazu gehört auch das Cross.

Manuela Muth sagt: Die Zunahme sei schleichend. Wenn man eine Art Zäsur benennen wollen würde, dann wäre es die Corona-Pandemie. Viele Menschen hätten ihre Jobs verloren, nicht alle seither neue gefunden. Insbesondere in Gronau, wo das Cross steht, gebe es sehr viele Alleinerziehende und kinderreiche Familien.

Hintergrund: Kinderarmut in Deutschland

Daten des Statistischen Bundesamts bestätigen: 2024 waren knapp 26 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland armutsgefährdet (2023: rund 24 Prozent) – gegenüber 11 Prozent (unverändert) der Haushalte mit zwei Erwachsenen und Kind(ern). Mit Blick auf die Kinder selbst waren vergangenes Jahr insgesamt 14,4 Prozent der unter 18-Jährigen armutsgefährdet, ein wenig mehr als 2023 (14,0 Prozent). 2022 hatte die Quote allerdings noch bei 15 Prozent gelegen.

Als armutsgefährdet gilt, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. 2023 waren das etwa für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren 2.759 Euro netto.

Was das konkret bedeutet, zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Forsa-Umfrage unter Eltern minderjähriger Kinder, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurden: 15 Prozent der Mütter und Väter machten sich „große bis sehr große“ Sorgen, dass sie die Grundbedürfnisse ihrer Familie nicht mehr decken könnten – also Kleidung, Nahrung oder Kosten für die Wohnung. Auch hier ist der Anteil unter den Alleinerziehenden deutlich höher (30 Prozent).

Wochengericht im Cross

„Nicht immer fehlt das Geld“, sagt Lukas Schubert, pädagogischer Mitarbeiter im Cross. „Manchmal wird es anders ausgegeben, oder es werden einfach keine Mahlzeiten zubereitet, weil gerade ein alleinerziehender Elternteil zum Beispiel nachmittags arbeitet.“

Hier geht niemand hungrig nach Hause.Manuela muth

Was genau der Grund ist, warum ein Kind Hunger hat, muss im Cross nicht angesprochen werden. Das ist wichtig, sagt Manuela Muth, denn Armut sei stigmatisierend.

Neben Sandwiches, Pizza oder Tassenkuchen gibt es im Cross jede Woche ein anderes frisch gekochtes Wochengericht, gesund, nachhaltig und vegetarisch. Mittwochs ist das umsonst, ansonsten kostet eine Portion 50 Cent. Das könnten sich die meisten leisten, sagt Muth.

Manche kämen gezielt mittwochs zum kostenlosen Essen. Und wenn sie und ihre Mitarbeiter:innen an den anderen Tagen merken, dass jemand nicht einmal 50 Cent in der Tasche hat, finden sie Möglichkeiten. Sie betont: „Hier geht niemand hungrig nach Hause.“

Die Finanzierung

Allerdings: Die Finanzierung von Kinder- und Jugendarbeit ist für die Kommunen zwar Pflicht, Essen gehört dazu jedoch eigentlich nicht. In Bergisch Gladbach gibt es 3000 Euro pro Jahr und Jugendzentrum für Sachleistungen. Das bedeutet aber in der Regel sowas wie Spiele, Stifte und andere Materialien.

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„Man fühlt sich total willkommen“

Das Cross in Gronau ist eins von sechs Jugendzentren in Bergisch Gladbach. Hier wird offene Kinder- und Jugendarbeit gemacht – das heißt in erster Linie: Raum und Zeit zur Verfügung gestellt, in denen die jungen Menschen einfach SEIN können, ohne etwas Bestimmtes tun zu müssen. Dabei lernen sie, ihre Interessen wahrzunehmen, sich einzubringen, Konflikte zu lösen und einiges mehr.

Ist das Geld für Essen also ohnehin schon knapp, ist es in den letzten Jahren noch knapper geworden, denn: „Die Lebensmittelkosten sind gestiegen, der Zuschuss aber nicht“, sagt Muth.

Im Cross gibt es noch eine Besonderheit, für die die Leiterin eine spezielle Förderung in Höhe von 2000 Euro beantragt und bekommen hat: ein Obstteller mit frischen Früchten, aber auch Gemüse von einem Biobauern aus der Region, als kostenloses Angebot für die Besucher:innen des Jugendzentrums.

„Wir wollen nicht nur, dass die Kinder satt werden, wir wollen auch was vermitteln“Manuela Muth

Der Teller ist nicht zu übersehen. Er steht prominent auf der offenen Theke direkt im Eingangsbereich. Die Theke ist oft der erste Ort, den die Jugendlichen aufsuchen, wenn sie hier ankommen, und auch der letzte, bevor sie gehen. 15 bis 30 Kinder essen jeden Tag von dem Obststeller, sagt Muth.

Während der knappen Stunde, die wir uns im Cross unterhalten, stehen immer wieder Jugendliche auf und nehmen sich etwas vom Teller: eine Birnenspalte, ein Achtel Karotte, ein Stück Banane.

„Wir wollen nicht nur, dass die Kinder satt werden, wir wollen auch was vermitteln“, sagt die Leiterin. Die Jugendlichen würden das spiegeln. Sie merken an, dass das Obst und Gemüse besonders lecker ist. Sie fragen erstaunt, ob man Kiwi mit Schale essen könne – kann man, wenn sie Bioqualität hat. Sie erzählen, dass sie Früchte wie Kaki sonst nie essen. Im Cross ist das teure Obst immer mit am schnellsten weg.

Nicht nur satt, sondern auch gesund

In der oben genannten Forsa-Umfrage gaben neun Prozent der Befragten an, sie würden „sehr oder eher häufig” auf gesunde Lebensmittel verzichten, weil diese teurer seien. Bei den Eltern mit einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 3000 Euro waren es 23 Prozent.

Dass das womöglich aber nicht nur etwas mit dem Geld zu tun hat, erzählt Markus Kerckhoff von der Tafel Bergisch Gladbach anhand eines Beispiels: Die meisten Tafelkunden würden weißes, geschnittenes Toastbrot wählen, auch wenn daneben ein (deutlich nahrhafteres) Vollkornbrot von der Mühlenbäckerei läge.

„Wir haben dann mal nachgefragt, warum das so ist. Ein paar dachten tatsächlich, dunkles Brot sei ungesund. Aber noch schlimmer: Viele sagten, sie könnten kein Brot schneiden“, erzählt der Vorsitzende des Tafelvereins.

Er sagt: Viele Menschen, die zu Tafel kämen, seien wenig gebildet, und daran habe sich in den letzten Jahren nichts geändert. Fehlende Bildung wiederum könne Armut verursachen – insbesondere in der nächsten Generation.

Wenn ich in Armut aufwachse, sind meine Chance kleiner, selbst einen guten Bildungsweg zu gehen.Markus Kerckhoff

Das bestätigen auch die Daten des Statistischen Bundesamts: 2023 waren in Deutschland rund 37 Prozent der unter 18-Jährigen armutsgefährdet, wenn ihre Eltern keinen beruflichen Abschluss hatten. Bei Kindern aus Familien mit mittlerem Bildungsabschluss (einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder Abitur) lag die Quote bei 14 Prozent. Kinder, deren Eltern über einen höheren Bildungsabschluss wie ein Studium oder einen Meistertitel verfügten, waren nur zu knapp sechs Prozent betroffen.

„Das Problem ist: Wenn ich in Armut aufwachse, sind meine Chance kleiner, selbst einen guten Bildungsweg zu gehen“, sagt Kerckhoff. Ein Teufelskreis also.

Yum Yum, aber selbstgemacht

Ein Junge betritt das Cross. Er sagt Hallo, hängt seine Jacke an der Garderobe auf, schaut sich erst einmal um. Nach ein paar Minuten geht er noch einmal zur Garderobe und kommt dann mit einer Tüte Yum-Yum-Nudeln zur Theke.

Etwas schüchtern fragt er Manuela Muth, ob sie die Instantnudeln für ihn aufgießen könnte. Muth lächelt, sagt: „Nein, lies mal hinten auf der Packung, was in der Gewürzmischung alles drin ist. Das ist nicht so gesund. Aber wir können die Nudeln nehmen und sie dir mit frischer Brühe und Gemüse zubereiten.“ Der Junge zögert, fragt, ob das was kostet. Nein, sagt Manuela Muth. Er nickt. „Ok.“

Muth kocht Wasser auf, streut Bio-Rinderbrühe über die trockenen Nudeln und schneidet eine Karotte in dünne Streifen. Lukas Schubert gibt Tiefkühl-Erbsen dazu, gießt heißes Wasser darüber und deckt alles mit einem weiteren Teller ab. „In zehn Minuten ist das fertig“, sagt er.

Spendenaufruf der KJA: „Bitte beteiligen Sie sich mit einer Spende, damit unsere neun Jugendzentren im Rheinisch-Bergischen Kreis und in Leverkusen regelmäßig Kinder und Jugendliche mit warmen Mahlzeiten oder frischen vielseitigen Snacks versorgen können.“

Hier können Sie einfach per Paypal spenden

Oder per Überweisung:

KJA LRO gGmbH
Kreissparkasse Köln
DE72 3705 0299 0311 0063 37
Verwendungszweck: Loch im Bauch

Ansprechpartnerin für Spendenquittungen:
Valentina Wesseling
Valentina.Wesseling@kja-lro.de

Die Yum-Yum-Nudeln seien ein Trend unter den Jugendlichen, erzählt Muth. Immer wieder werden sie mitgebracht und mitsamt der Gewürzmischung – die voller Geschmacksverstärker ist – trocken verspeist. Anstatt das zu verbieten, haben sie jetzt also selbstgemachte Yum-Yum-Suppe im Angebot, zu 70 Cent pro Portion (wenn die Nudeln nicht selbst mitgebracht werden).

Als die Suppe für den Jungen fertig ist, macht Lukas Schubert das Wochengericht für heute fertig. Es gibt Kartoffelauflauf. Er füllt die gekochten und geschnittenen Kartoffeln in eine Auflaufform, übergießt sie mit der vorbereiteten Soße, streut Käse darüber. Und ab in den Ofen.

Cafe Leichtsinn: Rezepte für und von zu Hause

Im Cafe Leichtsinn (barrierefrei ohne Akzent auf dem e), dem zweiten Jugendzentrum der KJA in Bergisch Gladbach, kochen die Mitarbeiter:innen oft mit den Besucher:innen zusammen, erzählt PR-Referentin Sabine Sistig. „Die Erfahrung nehmen die Jugendlichen häufig mit nach Hause und fragen zum Beispiel ihre Eltern, ob sie einmal dieses oder jenes Rezept kochen können.“

Auch im Cross fragen die jungen Gäste nach Rezepten – oder bringen selbst welche mit. Neulich gab es nigerianischen Jollof-Reis, in einer vegetarischen Variante.

Während der Kartoffelauflauf im Ofen gart, isst der Junge mit der Yum-Yum-Packung seine hausgemachte Nudelsuppe am Tisch neben der Theke. Ein anderer Jugendlicher bedient sich am Obstteller. Der Junge mit der VR-Brille dreht sich und geht in die Knie. Ein ganz normaler Nachmittag im Jugendzentrum.


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ist freie Reporterin des Bürgerportals. Geboren 1984, aufgewachsen in Odenthal und Schildgen. Studium in Tübingen, Volontariat in Heidelberg. Nach einem Jahr als freie Korrespondentin in Rio de Janeiro glücklich zurück in Schildgen.

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  1. Das ist bald wie nach dem Krieg, da hatten auch viele Kinder hunger. Es gab in der Schule jeden Tag eine warme Suppe und bei einigen war es die einzige warme Mahlzeit am Tag. Ich hatte Eltern und Großeltern, die immer für mich sorgten, ich hatte nie Hunger.

  2. Bitte NICHT die verantwortlichen Eltern von ihren (eigentlich selbstverständlichen) Pflichten befreien ,sie vielmehr immer wieder daran erinnern, ihren schließlich eigenen Kindern Brotstulle, Gemüse und Obst mitzugeben. Gegen die VollkaskoMentalität, dass alles der Staat für sie regeln bzw. übernehmen soll.

    1. Es fällt mir immer sehr schwer, so etwas zu verstehen. Ja, die Eltern kommen ihren Pflichten nicht nach. Ob sie es nicht können oder nicht wollen und aus welchen konkreten Gründen dies genau geschieht, wissen Sie genauso wenig wie ich. Ebenso wissen wir nicht, in welcher Form die Eltern Unterstützung benötigen könnten. Ich würde zunächst immer erstmal davon ausgehen, dass Eltern für ihre Kinder sorgen möchten.

      Aber es geht in dem Bericht um Kinder, die hungrig in die Jugendtreffs kommen. Warum sollten wir als Gesellschaft nicht die paar Euro aufbringen, um dort ein bisschen Obst und eine einfach warme Mahlzeit anzubieten? Was bringt uns diese Kaltherzigkeit zu sagen, dass sich die Eltern gefälligst kümmern sollen?