Vor 70 Tagen fand die letzte Sitzung des Stadtrats statt, seither fallen in Bergisch Gladbach alle Entscheidungen innerhalb der Verwaltung, im Krisenstab und in einer informellen Runde der Fraktionschefs, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Damit soll im Mai Schluss sein.

Mit der Verschärfung der Corona-Krise hatte der städtische Krisenstab Ende März empfohlen, alle Ausschuss- und Ratssitzungen für sechs Wochen abzusagen; dem waren die Ausschussvorsitzenden und alle Fraktionen gefolgt.

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Seither entscheidet der Krisenstab unter Leitung des Beigeordneten Frank Stein über alle Anti-Corona-Maßnahmen, alle dringenden politischen Entscheidungen werden von einem Gremium getroffen, dass in der Gemeindeordnung gar nicht vorgesehen ist: eine Telefonkonferenz des Bürgermeisters mit den Fraktionsvorsitzenden.

Diese Runde hatte am 2. April getagt und eine Reihe von Entscheidungen einstimmig abgenickt, die von der Stadtverwaltung als unaufschiebbar eingestuft worden waren. Dabei ging es unter anderem um Förderschulen und die Honorare der VHS und Musikschule (siehe Dokumentation unten). Ein Vorschlag der Verwaltung zur Entwicklung des Zanders-Areals wurde vertagt, weil einige Fraktionen hier noch Informationsbedarf hatten.

Diese Runde hatte ohne Beteiligung der Öffentlichkeit stattgefunden, die dort behandelten Dringlichkeitsentscheidungen wurden erst jetzt auf Nachfrage des Bürgerportals veröffentlicht. Die Begründung der Stadtverwaltung: Das Gremium habe einen „reinen Besprechungscharakter“.

Bürgermeister Urbach hatte in seiner zweiten virtuellen Bürgersprechstunde davon berichtet – und eine weitere Sitzung für den 5. Mai angekündigt. Auf Nachfrage erklärt die Stadt jetzt, die Themen für die Sitzung würde im Moment vorbereitet, für einen Veröffentlichung seien sie noch nicht reif. Auch die Fraktionsvorsitzenden haben noch keine Tagesordnung erhalten.

Kaum Kritik am Anti-Corona-Kurs der Stadt

In der Sache gibt es innerhalb des Stadtrats kaum Kritik am Kurs der Stadt in der Corona-Krise. Vertreter von CDU, SPD, Grünen und FDP zollten auf Nachfrage der Arbeit der Verwaltung großes Respekt. Auch Urbach hatte sich für das große Vertrauen aller Fraktionen gegenüber der Verwaltung bedankt.

Nur für die „Linke mit Bürgerpartei GL“ gibt Fraktionschef Thomas Klein zu Protokoll, dass seine Fraktion mit dem Kurs der Stadt in Sachen Corona nicht einverstanden ist. Grundsätzlich werde seine Fraktion von der Verwaltung später als andere informiert und vor vollendete Tatsachen gestellt. Mitte-rechts wollte zu den Fragen des Bürgerportals derzeit keine Stellung beziehen.

Hauptausschuss an Stelle des Stadtrats

Allerdings fordern inzwischen immer mehr Fraktionen, dass es nun Zeit wird, die Arbeit der Ratsausschüsse und des Stadtrats wieder aufzunehmen. Weil demokratische Regeln nicht einfach ausgesetzt werden können. Und weil sich sehr viele wichtige Projekte des Stadtrats bereits verzögert haben und die Chancen sinken, wichtige Pflöcke noch vor der für den 13. September geplanten Kommunalwahl einzuschlagen. Auch die Folgen der Corona-Krise verlangen Richtungsentscheidungen, die nur der Stadtrat treffen kann.

CDU und SPD fordern daher, noch im Mai die Ratsarbeit wieder aufzunehmen. Dabei solle zunächst der deutlich kleinere Haupt- und Finanzausschuss die Aufgaben des Stadtrats übernehmen.

Da die Pandemie noch einige Monate andauern werde könne die politische Gremien-Arbeit vorerst nicht in den gewohnten Bahnen laufen, sagt CDU-Fraktionschef Michael Metten. Daher plädiere die CDU dafür, dass ab Mai der Haupt- und Finanzausschuss das entscheidende Gremium werde – wie in der Gemeindeordnung vorgesehen.

Das sieht auch die SPD so; allerdings schlägt Fraktionschef Klaus Waldschmidt vor, zusätzlich auch die Fachausschüsse wieder tagen zu lassen.

Grüne und Linke fordern Sitzungen des Stadtrats

Die Grünen und die Linke gehen noch einen Schritt weiter. Sie plädieren dafür, dass neben den Fachausschüssen auch der Stadtrat selbst wieder zusammentritt, zur Not in einer Sporthalle, fordert Dirk Steinbüchel, Ko-Fraktionsvorsitzender der Grünen. Die Linke hat bereits einen entsprechenden Antrag gestellt, sagt ihr Fraktionschef Klein.

FDP mahnt zur Vorsicht

Vorsichtiger ist nur die FDP. Er könne sich allenfalls eine virtuelle Sitzung des Hauptausschusses vorstellen, sagt Fraktionschef Jörg Krell. Da dies im Moment aber aus technischen Gründen wenig realistisch erscheine plädiere er dafür, mit der bisherigen Praxis fortzufahren und die Lage erst Ende Mai neu zu prüfen. Das sei aus demokratischer Sicht zwar schwierig, aber im Moment noch akzeptabel.

Um wenigstens die Öffentlichkeit wieder herzustellen schlägt Krell vor, die Medien zur beobachtenden Teilnahme an der Besprechung der Fraktionschefs mit des Bürgermeisters zuzulassen.

Wie es weitergeht wird in der Videokonferenz am 5. Mai entschieden. Das Ergebnis ist absehbar: Urbach will dort selbst vorschlagen, den Hauptausschuss an die Stelle des Rates treten zu lassen.

Viele große Projekte verzögern sich

Für die Fraktionschefs ist bereits jetzt klar, dass die Corona-Pandemie und der Ausfall der Ausschuss- und Ratssitzungen zu einer Verzögerung vieler großer Projekte führen wird, die nun womöglich nicht mehr vor den Ferien oder auch nicht mehr in diesem Jahr voran gebracht werden könne. Von einer Verzögerung von bislang vier bis sechs Wochen geht CDU-Mann Metten derzeit aus.

Betroffen sind unter anderem das Klimaschutzkonzept, das Konzept für die Neuaufstellung der Schulen und das wohnungsbaupolitische Konzept. „Es sind viele Themen aufgelaufen, hinzu kommen ganz neue Themen – die müssen wir jetzt auf den Weg bringen“, fordert der Grüne Steinbüchel.

Auch die neue Debatte über das geplante Stadthaus müsste öffentlich im Stadtrat geführt werden. „So etwas gehört nicht in die Hinterzimmer“, sagt SPD-Mann Waldschmidt.

Dokumentation

Bei der Besprechung der Fraktionsvorsitzenden mit dem Bürgermeister am 2. April wurden fünf Themen behandelt, auf deren Grundlage im Anschluss Dringlichkeitsentscheidungen getroffen wurden:

  • Zukunft der Förderschulen für Lern- und Entwicklungsstörungen im Rheinisch-Bergischen Kreis – Zustimmung zur Änderung der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung
  • (Neu-)Abschluss eines Kooperationsvertrages mit dem Förderverein des Bergischen Museums in Bensberg (Ermächtigung zur Ausfertigung/zum Abschluss eines Vertrages,  der Vertrag selber ist noch in der Vorbereitung und noch nicht unterschrieben)
  • Honorare Musikschule und VHS – Zahlung auch bei ausgefallenen Seminaren/Kursen
  • Aussetzung der Elternbeiträge auf Grundlage der örtlichen Satzungen für Inanspruchnahme von Kindertagespflege, Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen,  Ganztagsschulen sowie außerunterrichtlichen Ganztags- und Betreuungsangeboten im Primarbereich und in der Sekundarstufe I
  • Anträge CDU-Fraktion und FDP-Fraktion zur Umbesetzung in Ausschüssen

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Journalist, Volkswirt und Gründer des Bürgerportals. Mail: gwatzlawek@in-gl.de.

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1 Kommentar

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  1. Dem Bürgerportal ist zu danken, dass die Hintergründe der Aussetzung der parlamentarischen Debatten aufgeklärt werden und die Beschlüsse der Fraktions-Besprechungsrunden dokumentiert werden. Es war dann wohl doch etwas mehr als ein unverbindlicher, lockerer Austausch.
    Bei allem Respekt für die schwierige Lage: Wenn schon keine Gremienarbeit stattfindet und keine Öffentlichkeit zugelassen wird, hätte es dem Bürgermeister gut zu Gesicht gestanden, die Entscheidungen der „informellen Gremien“ transparent zu machen. Auch in der virtuellen Bürgersprechstunde war davon nicht viel zu spüren.
    Wenn der Hauptausschuss nunmehr sowohl die Aufgaben der Fachausschüsse sowie des Rates übernehmen soll, kann man nach den bisherigen Erfahrungen davon ausgehen, dass der Öffentlichkeit lebendige Debatten verborgen bleiben. Deshalb ist dem Vorschlag der Grünen zuzustimmen, auch die Ausschussarbeit wieder aufzunehmen. Der Ratssaal in Bensberg ist groß genug, um dies mit den notwendigen hygienischen Maßnahmen zu verwirklichen.
    Wenn aber Anträge von CDU und FDP auf Umbesetzung von Ausschüssen (die dann nach ihrem Willen ohnehin nicht tagen) als dringlich eingestuft werden , so dass sie außerhalb der parlamentarischen Arbeit entschieden werden, ist zu befürchten, dass beide Parteien auch weiterhin mit der Hinterzimmerarbeit gut und gerne leben können.