Bernhard Winkelmann leitet den Schulpsychologischen Dienst im Rheinisch-Bergischen Kreis

Schülerinnen und Schüler werden von der Pandemie stark belastet: Schließung der Schulen, Lernen auf Distanz, Unterricht mit Masken. Das sind nur einige der Stressfaktoren für Kinder und Jugendliche. Wie wirkt sich das auf die psychische Gesundheit aus? Was können Eltern und Schulen konkret tun? Wir haben Bernhard Winkelmann gefragt, den Leiter des Schulpsychologischen Dienstes.

„Diese Situation ist noch nie dagewesen. Es gibt die verschiedensten Stressfaktoren, die während der Pandemie auf die Schüler:innen einwirken“, sagt Bernhard Winkelmann, Leiter des Schulpsychologischen Dienstes beim Rheinisch-Bergischen Kreis (RBK).

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Soziale Austtauschmöglichkeiten seien eingeschränkt, es gebe wirtschaftliche Probleme, innerfamiliäre Krisen – der ganze Alltag habe sich verändert. „Kinder fragen sich angesichts von Kontaktbeschränkungen: Bin ich noch der erste Freund?“, erläutert der Psychologe.

Einschränkungen zeigen Wirkung

Auch der Leistungsstand, der in den Schulen ohnehin unterschiedlich sei, habe sich durch die Pandemie vergrößert. Aktueller Stoff habe aufgearbeitet werden müssen. Und all dies unter Einhaltung der AHA-L-Regeln.

Es gibt keine goldene Regel, um mit Schüler:innen problemlos durch die Pandemie zu kommen.“

All dies treffe wiederum auf den Wunsch nach Vielfalt und Aktivitäten. Die müssen aber wegen der Ansteckungsgefahr reduziert werden. „Und diese Abstriche wirken“, weiß der Schulpsychologe. So könne es zu Lernschwierigkeiten kommen, zu emotionalen oder sozialen Problemen. Zunahme von Ängsten seien weitere Symptome, ebenso wie Schulvermeidung.

Hierbei seien Schulschließungen in zweifacher Hinsicht problematisch: „Kinder oder Jugendliche, die ohnehin Schwierigkeiten mit dem regelmäßigen Schulbesuch hatten wurden durch den Lockdown zunächst sogar entlastet. Für diese Schüler:innen war es mit dem Hochfahren des Schulbetriebs aber noch schwerer, zurück in den Alltag und die Regelmäßigkeit zu finden“, erläutert Winkelmann.

Virus und Existenznot

Angst vor dem unsichtbaren Virus macht er eher weniger als Einflussfaktoren für die psychische Gesundheit der Schüler:innen aus. „Kinder sind ein Abbild ihrer Familie: Wenn in der Familie die potentielle Gefahr von Corona z.B. für Großeltern thematisiert wird, spiegeln sie das wider. Generell ist es aber sehr unterschiedlich, wie sie ihre Haltung zur Pandemie zeigen“, meint Winkelmann.

Der Schulpsychologische Dienst des RBK ist ein Beratungsangebot des Kreises. Die Psycholog:innen unterstützen Schüler:innen, Eltern, Lehrer:innen, Schuleiter:innen und verwandte Berufsgruppen. Die niedrigschwelligen Angebote können freiwillig wahrgenommen werden. Sie sind unabhängig, vertraulich und unterliegen der Schweigepflicht.

Infos, Kontakt und Öffnungszeiten der Präsenztage in Burscheid, Leichlingen und Wermelskirchen sind auf den Webseiten des Schulpsychologischen Dienstes verfügbar. Dort gibt es auch Flyer zum Downlaod zu Themen wie Lesen, Schreiben, Rechnen, Angst vor Klassenarbeiten, Hausaufgaben uvm.

Auch die wirtschaftliche Not, die Familien während der Pandemie ereilen könne, gehöre je nach Kind und Veranlagung zu Aspekten, die auf die Gesundheit einwirken könnten. „Kinder bekommen solch eine Not mit, auch wenn sie es nicht verstehen. Eltern die existentiell bedroht sind befinden sich in anderer Verfassung und können ihr Kind nur bedingt unterstützen“, schildert der Psychologe.

Eine Zunahme der Beratungstermine konnte Winkelmann dennoch nicht verzeichnen. Während des ersten Lockdown gingen die Zahlen gar zurück. Aktuell befinde man sich auf normalen Niveau, das Beratungsaufkommen bewege sich im üblichen Durchschnitt.

Was können Eltern und Lehrer tun?

Was können Lehrer:innen und Eltern tun, um ihre Kinder in der Pandemie zu unterstützen?

Eine große Rolle spiele, wie die Regeln zur Vermeidung von Infektionen erklärt würden. Dies sei gerade vor dem Hintergrund wechselnder Anweisungen in den Schulen relevant. „Es ist schon eine Herausforderung vor Ort, die entsprechende Akzeptanz herzustellen, auch wenn man nicht unmittelbar hinter den Maßnahmen steht“, so der Schulpsychologe.

„Man sollte versuchen, den Zweck und die Sinnhaftigkeit der Regelungen zu erläutern.“ Also warum Maske tragen, warum Einbahnregelung, warum nur im Klassenverband lernen. Dieses Prinzip habe auch schon vor Corona gegolten.

Lernen lernen

Lehrer und Eltern sollten zudem hinschauen, an ihren Kindern „dranbleiben“, beobachten wie sich deren Situation verändere. Über Lernsituationen sprechen, den Schulweg im Bus, Spannungen innerhalb der Klasse, Schiwerigkeiten beim Lernen.

„Es gibt keine goldene Regel, um mit Schüler:innen problemlos durch die Pandemie zu kommen.“ Beim Verdacht auf Sorgen und Nöte sei es stets am sinnvollsten, beim Kind oder Jugendlichen selbst anzusetzen. Winkelmann plädiert eindringlich: „Immer als erstes das Gespräch mit dem Kind suchen.“

Oft sei das Lernen lernen ein möglicher Auslöser für Probleme. Kinder müssten erfahren, was für ein Lerntyp sie seien. Es gebe enorm viele Lerntechniken, „die Bandbreite ist oft nicht ausgeschöpft.“ Auch dies sei eine Möglichkeit, um positiv durch die Pandemie zu kommen.

Selbstwirksamkeit stärken

Kinder und Jugendliche sollten zudem erfahren: „Was tut mir gut? Wie komme ich ohne Verein klar? Welche Form der Entspannung hilft mir?“ Sie könnten dadurch die wichtige Erfahrung machen, selbst in der Krise handlungsfähig zu bleiben: „Ich kann was tun, ich bin nicht hilflos!“

Zentral für Winkelmann sei stets, wie man die Situation in der Krise bewerte und empfinde. „Dies ist ein enorm großes Spielfeld. Klar, es gibt viele Einschränkungen. Aber man kann in vielen Dingen der Krise auch eine Chance sehen.“ Hier seien Leher:innen und Eltern einmal mehr gefragt – auch als Vorbild.

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Dennoch: Wenn bestimmte Symptome vorliegen sei es ratsam, ärztlichen Rat einzuholen. „Dies gilt insbesondere, wenn sich das Kind oder der/die Jugendliche stark verändert: Rückzug, Perspektivlosigkeit, Antriebslosigkeit sind entsprechende Indikatoren.“ Hier gelte es genau hinzuschauen und schnell zu reagieren. „Sonst gewöhnt man sich schnell an eine neue Routine, z.B. beim Fernbleiben von der Schule.“

Blick statt Klick!

Dem Lernen auf Distanz kann der Leiter des Schulpsychologischen Dienstes aus psychologischer Sicht nicht viel abgewinnen. Lernen habe viel mit Beziehug zu tun. Im Idealfall lernen Kinder und Jugendliche aufgrund des Feedbacks und der Wertschätzung der Lehrer:in. Dies sei beim Digitalen Lernen per Internet eine „Wenn die Rückmeldung fehlt, leidet die Motivation.

Aus gutem Grund seien viele Kinder nach dem ersten Lockdown darauf erpicht gewesen, ihre Arbeiten zu präsentieren und eine Bewertung zu erhalten. Sicherlich gebe es tolle digitale Lernsysteme, die in die richtige Richtung weisen würden. „Aber man muss interaktiv sein, Schule muss rückkoppeln, das Digitale kann dies nicht ersetzen!“

Generation Corona

Wie sieht es in Zukunft aus? Wächst derzeit eine Generation Corona heran, die aufgrund der zahlreichen Einschränkungen künftig mit psychischen Problemen zu kämpfen hat? „Ja, eine gewisse Gefahr ist aufgrund der aktuellen Situation bei uns allen gegeben“, erklärt Bernhard Winkelmann. „Und Kinder sind durch mangelnde soziale Kontakte besonders gefährdet.“

Man müsse sich generell überlegen, wie man der Gefahr begegnen wolle. In den Schulen gelte es dringlicher denn je, ein positives Klassenklima zu gestalten, die gemachten Erfahrungen zu analysieren, Chancen daraus abzuleiten. nur so würde man die Handlungsfähigkeit beibehalten.

Winkelmann: „Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Prävention, zum Gegensteuern. Trotz Pandemie auf die psychische Gesundheit zu achten, dies ist eine Herausforderung. Schule könne dabei unterstützen. Mit allem – außer Routine.“

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ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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1 Kommentar

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  1. Wir versuchen eine Generation zu retten. Und opfern dafür eine andere.
    Die Beratungsstellen und Fachärzte sind aktuell vielleicht noch keiner erhöhten Nachfrage ausgesetzt. Die Folgen für die schwächsten unserer Gesellschaft, werden sich aber gewiss in einigen Jahren zeigen.
    Kinder haben keine Lobby. Während im Frühjahr die Baumärkte längst wieder geöffnet hatten und sich dort lange Warteschlangen bildeten, standen die Kinder noch lange Zeit vor geschlossenen Spielplätzen.