Ahmed Zouaoui (li) und Ghada Aziz aus Kiew, Foto: Holger Crump

Das Leben gerettet, aber was ist mit der Existenz? Über verschiedene Etappen landet Familie Aziz/Zouaoui aus Kiew in Bergisch Gladbach. Während Mutter Ghada Aziz die Zukunft vor allem der Kinder in Deutschland sieht hadert Vater Ahmed Zouaoui mit seinem Schicksal. Er ist Geschäftsmann, will zurück in sein Unternehmen in Kiew. Eine Existenzgründung in Deutschland? Das ist mit vielen Fragen verbunden.

Ghada Aziz stammt aus Ägypten, Ahmed Zouaoui aus Tunesien. Sie und ihre beiden Kinder Amir (6) und Amira (13) leben und arbeiten seit über 20 Jahren in Kiew. Dann kommt der Krieg.

+ Anzeige +

Sie haben Glück. Wenn man bei der Flucht aus der Ukraine überhaupt von Glück reden kann. Ghada Aziz, Ahmed Zouaoui und ihre Kinder finden Hilfe und Unterschlupf bei Familie Eissa/Alkassab in Bergisch Gladbach.

Die Familien kennen sich durch Zufall: Familie Aziz/Zouaoui macht 2013 in Alexandria Urlaub, als Familie Eissa/Alkassab dort auf der Flucht aus Syrien strandet. Man wohnt Tür an Tür, die Töchter spielen zusammen. Die Familien bleiben in Kontakt, als die Eissas weiterziehen und schließlich in Bergisch Gladbach ankommen.

Hinweis der Redaktion: Sie können diesen Beitrag auch auf Ukrainisch oder in anderen Sprachen lesen; nutzen Sie dafür bitte das Auswahlmenü oben links.

„Wir sind seither über Facebook verbunden. Bilder posten, liken, Kommentare schreiben“, so Weaam Eissa. Ihre fünfköpfige Familie lebt in einer Wohnung in Rommerscheid, sie selbst baut sich eine Existenz als Architektin auf. Die Kinder gehen zur Schule.

Ahmed Zouaoui, Ghada Aziz und Weaam Eisa (von links); Foto: Holger Crump

Über Polen nach Deutschland

Dann bricht der Krieg in der Ukraine aus. Weaam Eissa ruft bei ihren Freunden in Kiew an. „Es geht noch“, habe Ghada Aziz zunächst gesagt. Doch dann wird es zu gefährlich, die Bekannten in Kiew packen die Koffer und flüchten im eigenen Auto aus der umkämpften Hauptstadt.

„Zunächst sind wir in den Westen des Landes gefahren“, berichtet Ahmed Zouaoui. Er leitet in Kiew eine Firma für Holzhandel, spricht dank seiner Geschäftskontakte Englisch, Französisch, Arabisch und Russisch.

Von der Westukraine geht es über die Grenze in den Süden Polens. An den genauen Ort können sich beide nicht mehr erinnern. „Ich habe einen tunesischen Pass“, sagt er auf die Frage nach der Grenzkontrolle. Ukrainische Männer dürfen das Land nicht verlassen. Das sei gegangen, konkrete Details will er aber nicht nennen.

Ankunft in Bergisch Gladbach

Eissa bietet ihren Freunden aus Kiew eine Unterkunft in ihrem Haus an, Mitte März treffen die Flüchtlinge aus der Ukraine in Rommerscheid ein. Zehn Tage leben sie bei Familie Eissa. Dann ziehen sie um. Ghada Aziz und Ahmed Zouaoui haben nun eine Wohnung in der Gronauer Waldsiedlung.

Sie sind bei der Stadt angemeldet, beziehen Leistungen. Ghada Aziz ist zufrieden und dankbar für die Hilfe. Ihre Zukunft sieht sie – zumindest mittelfristig – in Deutschland. „Hier haben die Kinder wesentlich mehr Chancen für eine gute Bildung“, sagt sie.

Gleichwohl: Die Tochter (13) ist an diesem Vormittag zuhause. Die Wunschschule sei bereits überfüllt, habe es beim Kommunalen Integrationszentrum geheißen. Eine Alternative habe man nicht mitgeteilt bekommen. Die Familie wolle nun direkt auf eine Schule zugehen.

„Das Auto und ein paar Koffer, mehr ist uns nicht geblieben“ sagt Ahmed Zouaoui

Zurück nach Kiew

Eine Zukunft in Deutschland – das kommt für Ahmed Zouaoui nicht infrage. Er ist ein Macher, zeigt Fotos von seinem Geschäft in Kiew. Er handele mit Kiefernholz. Seine Firma Woodinvest LLC scheint gut gelaufen zu sein. Ahmed Zouaoui berichtet von seiner großen Wohnung in Kiew, vor dem Haus parkt ein Fahrzeug der Oberklasse. „Das Auto und ein paar Koffer, mehr ist uns nicht geblieben“, zuckt er mit den Schultern.

Schnell wird klar: Er will zurück in sein altes Business.

 „We don’t know the rules – wir wissen nicht, wie es hier in Deutschland läuft“, betont er immer wieder, und redet sich ein wenig in Rage. Diskutiert zwischendurch auf Arabisch mit seiner Frau, sie fallen sich ins Wort. Nach Wochen abseits der Heimat liegen die Nerven blank.

Kein Handwerker, sondern Manager

Die Behördengänge nerven ihn. Im Jobcenter habe man ihn in eine Abteilung für Handwerker gesandt, weil er mit Holz zu tun habe. „Aber ich bin kein Handwerker, ich bin ein Manager und Händler, kaufe und verkaufe Holz für Dächer, den Innenausbau, den Holzbau.“

Er verzweifelt an der Bürokratie, wisse nicht, was er bei Behörden unterschreibe. „Immer nur unterschreiben, unterschreiben.“

Als Flüchtling in Deutschland ankommen: Das klingt aus dem Mund von Ahmed Zouaoui wie ein eigener Job. Wie eine eigene Profession, die es zu erlernen und dann zu beherrschen gilt. „We don’t know the rules – wir wissen nicht, wie es hier in Deutschland läuft.“

Die Willkommensangebote der Flüchtlingsinitiativen kennen die beiden. Dort sei man höflich und nett, aber könne ihm nicht helfen. „Zum Umtausch von ukrainischer Währung haben mich die ehrenamtlichen Helfer zu einer Bank nach Leverkusen gesandt. Dort wusste man von nichts“, schildert er verzweifelt.

Warten, warten, warten

Ihm geht die Hilfe hier vor Ort nicht weit genug, er schlägt vor: „Wir brauchen als Flüchtlinge eine Konferenz mit Sozialamt, Finanzamt, Jobcenter und Übersetzer. Nur so kann man den individuellen Problemen der Ukrainer gerecht werden.“

Was in seinem Fall die Existenzgründung bedeuten würde. Klar – er will zurück nach Kiew. In seine Wohnung, in sein Unternehmen. Aber bis es soweit ist will er nicht untätig hier in Deutschland sitzen und „warten, warten, warten.“

Also will er wissen: „Wie läuft das mit der Umsatzsteuer, wie mit der Bilanz, welche Rechtsformen für Unternehmen gibt es hier.“

Existenzgründung für Flüchtlinge – geht das?
„Ja, das ist möglich“, sagt Volker Suermann von der Rheinisch-Bergischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft (RBW). Dies müsse jedoch zuvor von der Ausländerbehörde genehmigt werden.

„Besondere Berufszugangsvoraussetzungen gelten für Personen mit einem vorübergehenden Schutz ebenso wie für alle anderen“, so Suermann. Existenzgründer müssen also ihre Qualifikationen nachweisen. Dabei unterstütze die RBW und vermittle Interessenten an Einrichtungen, welche sich um die Anerkennung von Abschlüssen kümmern würden.

Spezifische Zuschüsse oder Kredite würden nach den gängigen Verfahren bewilligt: Wie jeder Existenzgründer würde auch von Flüchtlingen ein Businessplan verlangt.

Die RBW berät Flüchtlinge in deutscher und englischer Sprache, rät aber dringend zum Erlernen der Landessprache. „So kann man seine gleichen Rechte und Pflichten entsprechend wahrnehmen“, sagt Suermann.

Die Beratung bei der RBW ist ohne Antragsstellung und jederzeit möglich. Kontaktmöglichkeiten finden Sie hier.

Ahmed Zouaoui steht nach unserem Gespräch vor seiner Wohnung auf der Straße. Er will los, sich mit anderen Ukrainern treffen. Eilig notiert er noch ein paar Tipps: Baustoffhandlungen in der Nähe, Dachdeckerfachbetriebe, Holzhandlungen. Fragt russischsprachige Steuerberater an. Saugt eilig auf, was ihm helfen könnte.

„We don’t know the rules – wir wissen nicht, wie es hier in Deutschland läuft“, sagt er wieder. Er scheut den erneuten Aufbau eines Unternehmens in einem neuen Land und ist frustriert. Vielleicht aber auch weil er ahnt, dass ihm angesichts des Krieges erst einmal keine andere Möglichkeit bleiben wird.

Weitere Beiträge zum Thema

Lade…

Something went wrong. Please refresh the page and/or try again.

ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

Reden Sie mit, geben Sie einen Kommentar ab

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.