Hoffnungen, einen Teil des Zanders-Geländes für Zwischennutzungen öffnen zu können, haben sich zerschlagen. Zunächst muss die Infrastruktur ganz neu gebaut werden. Daher wächst der Druck auf Politik und Verwaltung, rasch die grundlegenden Entscheidungen zu treffen. Inzwischen liegen erste Berechnungen vor, was geht – an Gewerbe, Wohnen, Bildung. Doch die Interpretationen der Parteien liegen noch ein Stück auseinander.

36 Hektar Fläche mitten in Bergisch Gladbach, in Rufweite zur Innenstadt und zum Bahnhof. 36 Hektar, die mit einer Menge Erwartungen und Hoffnungen belegt sind, aber auch der wachsenden Sorge der lokalpolitischen Verantwortlichen, endlich loslegen zu müssen – und bei der hochkomplexen Aufgabe gerade beim Start nichts falsch machen zu dürfen.

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Eine Stimmung, die die letzte Sitzung des Zanders-Ausschusses in diesem Jahr prägte. Am Schluss stand immerhin die gemeinsame Erkenntnis, über alle Fraktionen hinweg, bei Politik und Verwaltung: Im ersten Halbjahr 2023 weiter hart diskutiert, aber schon im 1. Quartal müssen grundlegende Entscheidungen gefällt werden.

Bürgermeister Frank Stein, für den Zanders eine Chefsache ist, brachte es auf den Punkt: Drei große Themen seien jetzt rasch parallel zu klären: die Ziele, die Infrastruktur und die Vermarktung.

Dabei waren die vergangenen Monate nicht gerade von Stillstand geprägt. Die Verwaltung hatte ihre Planung vorangetrieben, mit dem Büro Karres und Brand neue Bilder produziert, erste wichtige Gutachten (Energie, Wasser) in Auftrag gegeben und Förderanträge gestellt.

Alles das war in mehreren Sitzungen des „interfraktionellen Arbeitskreises“ besprochen worden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Ohne Infrastruktur keine Zwischennutzungen

Im Zanderausschuss legt Udo Krause, Chef des Projektteams, nun den Stand der Dinge vor. Am Anfang steht eine (sich schon länger abzeichnende) Erkenntnis: Die Träume von einer raschen Zwischennutzung von Gebäuden und Teilflächen seien ausgeträumt.

Zunächst einmal muss das Gelände geräumt werden, neben den großen Papiermaschinen gehe es dabei auch um die Streichmaschine, aber auch um den Teilabriss des Kraftwerks und der Kläranlage, berichtet Krause. Damit sei man noch weit über 2023 hinaus beschäftigt.

Noch gravierender als zunächst erwartet war die plötzliche Insolvenz von Zanders: Seit der Abschaltung ist das Areal „medienlos“. Soll heißen: es gibt keinen Strom, keine Heizung, kein Wasser, kein Abwasser. Wer punktuell irgendetwas auf dem Gelände machen will, muss alles mit hohen Kosten mitbringen.

Laut vorläufigem Zeitplan soll im Frühjahr 2024 mit ersten Erschließungsmaßnahmen begonnen werden.

Kurzfristige Spielräume im Office-Bereich

Spielraum gebe es derzeit nur im sogenannten Office-Bereich, den Verwaltungsgebäude an der Gohrsmühle. Aber selbst hier ist das Potenzial riesig: Denkbar seien nicht nur die Erweiterung der (zum Teil bereits vermieteten) Bürogebäude, sondern relativ rasch auch ein Teil-Abriss mit folgenden Ersatzbauten sowie ganz neue Gebäude.

Hier gebe es immerhin ein Planungsrecht; aber für drängende Projekte wie die fest eingeplante Grundschule 21 auf dem Areal müsste das Planungsrecht erst einmal geschaffen werden. Daher, so Krause mehrfach, seien auf planerischer Ebene kreative und schnelle Ansätze erforderlich.

Eine Veräußerung von Teilen des Office-Bereichs, so die Verwaltungsvorlage, sei frühestens Mitte 2024 möglich.

Wohnen, Arbeiten, Lernen – aber in welcher Relation?

Doch noch bevor es mit der Infrastruktur losgehen könne müsse erst einmal klar sein, wofür das Gelände eigentlich genutzt werden soll, betonten sowohl Krause wie Stein. Klar, für Wohnen, Arbeiten und Lernen – soweit reicht der Konsens. Aber in welcher Dichte, in welchem Umfang, und in welchem Verhältnis?

Vor allem die CDU-Fraktion drängt im Ausschuss darauf, zuvor noch einen Schritt zurück zu gehen – und endlich eine konkrete Vision für die Vollkonversion festzulegen. Wofür soll das Zanders-Gelände in 20, in 30 Jahren einmal stehen?

Insbesondere bei der Gewichtung der Nutzungen gibt es Unterschiede zwischen Grünen und SPD auf der einen und CDU und FDP auf der anderen Seite. Mehr Wohnen, oder mehr Gewerbe. Und welches Gewerbe eigentlich?

Genau das, fordert CDU-Fraktionsmitglied David Bothe, müsse jetzt auch in der Öffentlichkeit breit diskutiert werden, mit allen Vor- und Nachteilen der verschiedenen Optionen.

Die riesige Halle der PM3 ist fast leergeräumt. Sie könnte für den Schwerpunkt Bildung neue genutzt werden. Foto: Thomas Merkenich

Was passt alles auf das Areal?

Auf der Basis von Zahlen der (ehemaligen) Ampel und einer vergleichbaren Dichte der Bebauung auf dem Kalköfen-Gelände hat das Büro Karres und Brands erste Beispielsrechnungen angestellt. Sie zeigen auf, was eigentlich reinpasst, bei Zanders. Von den Ergebnissen fühlen sich SPD und vor allem Grüne (die im Vorfeld ähnlich gerechnet hatten) bestätigt: da passt einiges.

Der Ausgangspunkt von Grünen und SPD: mindestens 2000 Wohneinheiten, wenigstens 800 Arbeitsplätze, Platz für die Berufskollegs, die Grundschule 21, Kitas und weitere soziale Infrastruktur.

Das hatte Karres und Brands in seine Modellrechner eingegeben, und heraus kam folgender Flächenbedarf als erster Anhaltspunkt:

  • 2000 Wohnungen, das bedeutet bei im Schnitt 80 qm Fläche und zwei Personen eine Fläche von 212.000 Quadratmetern. Und eine zusätzliche Einwohnerschaft von 4000 Menschen – und nach aktueller Bauordnung 2000 Stellplätze für Autos.
  • Für 800 Arbeitsplätze würden, ganz grob gerechnet, 32.000 qm Fläche benötigt, und weitere 1120 Stellplätze.
  • Beim Thema Bildung (alleine für die neue Bevölkerung) geht Karres und Brands von drei Kitas und zwei Grundschulen aus, auf einer Fläche von rund 50.000 qm sowie weiteren 450 Stellplätzen.
  • Alleine für die insgesamt knapp 3700 Parkplätze würde eine Fläche von 90.000 qm belegt werden.

Aber: wenn man diesen Bedarf auf die zur Verfügung stehende Fläche lege, dann komme man damit nicht nur hin, es bleibe sogar ein Puffer übrig.

Eine Bruttogeschossfläche von insgesamt 440.000 Quadratmetern steht im Raum – doch bei welcher Dichte? Karres und Brand

Zudem, das führt Andreas Ebert für die SPD an, könne man doch die Nutzungen übereinander legen. Was spreche dagegen, über die Bildungsbereiche noch zwei Etagen Wohnungen zu legen – und so mehr Potenzial zu erschließen?

Wieviel Stellplätze werden in Zukunft gebraucht?

Für die Grünen stellt Theresia Meinhardt die Berechnung der Stellplätze in Frage. Statt einen Stellplatz pro Wohnung sehe das NRW-Recht künftig eine kräftige Reduzierung vor, auf 0,5 oder gar 0,3 Stellplätze pro Wohnung. Damit würde sich der Flächenbedarf für die Autos drastisch reduzieren.

Eine Einschätzung, die CDU und Bergische Mitte als unrealistisch bewerteten.

Gewerbestandort oder Schlafstadt?

Für die CDU forderte Fraktionschef Michael Metten eine deutlich höhere Gewichtung des Gewerbes ein. Er nennt dafür eine Bruttogeschlossfläche von 100.000 qm und mehr. Nur wenn die Menschen vor Ort arbeiten könnten, könne man den Verkehr reduzieren. Zudem dürfe man Gewerbe wie etwa Schreinereien, die für Lärm sorgen, nicht von vorne herein ausschließen.

Und dabei, so die CDU, sei man bei der Ziel-Debatte: wolle man zulassen, dass Bergisch Gladbach zur Schlafstadt werden, mit der Gefahr einer Eingemeindung durch Köln? Oder soll sich GL weiterhin als Wirtschaftsstandort profilieren? Dass beim Gewerbe noch Luft nach oben sein, das räumt auch Ebert (SPD) ein.

Die CDU-Mann merkt an, dass der Zeitplan ohnehin schon äußerst ambitioniert sei. Und er packt gleich noch einiges oben drauf: Sehr schnell müsse eine Vermarktungsstratgie erarbeitet werden, die auch die sich drastisch verändernden Marktbedingungen berücksichtige.

Wie teuer dürfen die Wohnungen werden?

Umstritten auch die Frage, in welchem Umfang geförderter und preisgedämpften Wohnungsbau umzusetzen ist. Die Verwaltung geht von einer Dreiteilung (30 Prozent gefördert, 30 Prozent gedämpft, 40 Prozent frei finanziert) aus.

Das werde aber dazu führen, dass die Preise für die „freien“ Wohnungen in Dimensionen stiegen, die sich niemand mehr leisten könne, warnt die CDU.

Zudem geben es einen Zielkonflikt zwischen sozialem und ökologischem Wohnungsbau. Und auch beim Erhalt der alten Bausubstanz müsse man sich immer fragen, was überhaupt bezahlbar sei. Erst recht einer globalen Lage, in der die Bautätigkeit zum Erliegen kommen.

„Die Investoren laufen uns nicht mehr die Bude ein, im Gegenteil“, sagt Metten. Und das bei einem Investitionsvolumen für das Gelände, das er auf 700 Millionen bis zu einer Millarde Euro beziffert. Wo soll dieses Geld herkommen, wenn die sozialen und ökologischen Auflagen so hoch sind?

Einige Gebäude stehen unter Denkmalschutz, andere Nicht. Blick in die „Altstadt“ des Zanders-Areals. Foto: Thomas Merkenich

Drei Themen gleichzeitig klären

Am Ende ist es Bürgermeister Frank Stein, der die Diskussion einfängt. Tatsächlich müsse man jetzt in eine Phase der Verbindlichkeiten kommen, und dabei drei großen Themen parallel klären.

Zum Ersten, so Stein, sei das die politische Zielsetzung: Was wollen wir auf Zanders erreichen?

Der Bürgermeister macht allerdings auch erste Abstriche an Prämissen, die bislang in Stein gemeisselt schienen. Zum Beispiel der Bestandsschutz der alten Bausubstanz: der sei zwar ökologisch wertvoll, aber „kein Dogma.“

Zum Zweiten sei jetzt die Schaffung der Infrastruktur vorrangig. Wobei klar sei, dass die Stadt das gar nicht leisten können. Sie müssen extern erstellt und betrieben werden, und natürlich in einem „nachfossilen“ Umfeld.

Zum Dritten müsse bereits jetzt die Vermarktung ins Auge gefasst werden. Auch das werde die Stadtverwaltung nicht selbst umsetzen können, sondern müsse dafür einen Projektentwickler beauftragen – der aber ausschließlich die Interessen der Stadt vertreten dürfe.

Auch hier klingt der Bürgermeister jetzt etwas anderes als noch früher im Jahr: Zwar habe er eine Sympathie dafür, dass nicht alles über den Preis entschieden werde, sondern bei Architektur und Ökologie auf die Qualität geschaut werde. „Aber am Ende werden die Investitionsentscheidungen von denen getroffen, die das Geld mitbringen,“ sagt Stein. Wer das ist, könne nicht die Stadt entscheiden, sie müsse aber jetzt den Rahmen setzen.

Bis zur Sommerpause, fordert Stein, sind alle diese Fragen zu klären. Aber schon in der nächsten Sitzung des Zanders-Ausschusses müssten erste Themen entschieden werden – möglichst im Konsens, aber zur Not auch nur mit Mehrheit, so der Bürgermeister.

Was wird wann beraten / beschlossen?

Zum Schluss wird der Ausschussvorsitzende Christian Buchen (CDU) pragmatisch: Im ersten Halbjahr seien drei (nichtöffentliche) interfraktionelle Arbeitskreis und zwei (öffentliche) Ausschusssitzungen geplant – was angesichts der Agenda kaum ausreichen werden.

Daher müsse man über weitere Termine nachdenken – und womöglich eine ganztägige Ausschuss-Klausur ansetzen, bei der alle Themen abgearbeitet werden.

Dokumention:

Mitteilungsvorlage: Erstellung eines Projektfahrplans zur weiteren städtebaulichen Entwicklung des Projektes Zanders-Areal

Mitteilungsvorlage: Nutzungsschwerpunkte auf dem Zanders-Areal

Journalist, Volkswirt und Gründer des Bürgerportals. Mail: gwatzlawek@in-gl.de.

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1 Kommentar

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  1. Bei all den wichtigen Überlegungen, wie viele Quadratmeter nun zu Wohnzwecken oder gewerblich genutzt werden sollen, muss in jedem Fall noch ein Konzept zur Verkehrserschließung her. Ein neues Wohnquartier und/oder neue Gewerbeflächen werden in jedem Fall zusätzlichen Individualverkehr erzeugen, für den dann ausreichend dimensionierte Wege rund ums Gelände vorhanden sein müssen.

    Da wird noch einiges an Hirnschmalz eingesetzt werden müssen, denn das Zanders-Gelände hängt ja nicht im luftleeren Raum, sondern muss angebunden werden.