Nina Tackenberg leitet in Elternzeitvertretung die Katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung Bergisch Gladbach. Foto: Daniel Schubert

Elternsein ist heute komplexer als früher: Die demokratischere Erziehung ist per se anspruchsvoller als der autoritäre Erziehungsstil der 1950er-Jahre. Im Gegensatz zu damals sind es meist zwei Menschen, die Entscheidungen treffen und dabei nicht immer einer Meinung sind. Hinzu kommt eine unübersichtliche Menge an Informationen und Ratschlägen. Nina Tackenberg von der Katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung erklärt, wie man mit der daraus resultierenden Unsicherheit umgehen kann.

„Heute erscheint uns die Welt überwältigender und chaotischer als jemals zuvor“, schreibt Jamie Holmes in seinem Buch NonSense – The Power of Not Knowing. „Die Herausforderung des heutigen Lebens besteht darin herauszufinden, wie man sich verhält – in Beziehungen, im alltäglichen Leben, im Job, wenn man keine Ahnung hat, was man tun soll.“

Wie verhält man sich? Diese Frage ist für viele Eltern auch in Bezug auf den Umgang mit den eigenen Kindern eine Herausforderung.

Schon in den ersten Lebenswochen eines Säuglings stehen Eltern vor Entscheidungen, für die so viele Informationen und Ratschläge zur Verfügung stehen wie für keine Elterngeneration zuvor: Wie lange sollen Babys gestillt, wie sollen sie zum Schlafen gebracht werden?

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Zeichnung und Foto: Nina Tackenberg

Erziehung ist heute deutlich anspruchsvoller

Die Familientherapeutin Carmen Eschner zeigt in einer Analyse auf, dass die Entwicklung vom autoritären Erziehungsstil der 1950er-Jahre hin zu einem demokratischeren Umgang mit Kindern in der heutigen Zeit die Erziehungsaufgabe deutlich anspruchsvoller hat werden lassen. „Die (…) Unübersichtlichkeit (…) ist das einzig Zuverlässige im Dickicht von Erziehungsratgebern, Kursen, Elternzeitschriften und Angeboten in Medien, besonders im Internet.“

In dieser Unübersichtlichkeit können Elternteile mitunter unterschiedliche Ansichten entwickeln, die zu Streitigkeiten führen und die Herausforderung vergrößern.

Wenn Paare aus einer solchen Situation heraus zu uns in die Beratung kommen, dann ist der erste Schritt häufig, erst einmal festzustellen, dass diese Unsicherheit überhaupt vorhanden ist. Und dieser Unsicherheit auch zu erlauben, da zu sein. Es gibt an vielen Stellen kein „richtig“ oder „falsch“.

Zwei Menschen müssen Entscheidungen aushandeln

Diese Erkenntnis steht möglicherweise im Widerspruch zu Glaubenssätzen, die Eltern aus ihrer Herkunftsfamilie mitbringen, die häufig klare Linien enthalten und eine feste Vorstellung davon, was Kinder brauchen.

Die Erziehungsaufgabe lag zudem überwiegend bei nur einem Elternteil, meistens der Mutter. Insofern ist allein die Tatsache herausfordernd, dass heute zwei Menschen die Entscheidungen über Erziehung miteinander aushandeln müssen.

Diese in vielen Bereichen gestiegene Komplexität anzuerkennen, kann schon etwas entlasten. Vielleicht gelingt es in einem nächsten Schritt, sich als gemeinsam unsicher und das Beste für die Kinder wollend wahrzunehmen.

Gut tut oft auch der Kontakt zu anderen Eltern und die Feststellung, dass es vielen ähnlich geht.

Der „Familienrat“ und die „Sprechstunde“ sind regelmäßige Kolumnen im Newsletter „GL Familie“ von Laura Geyer. Er richtet sich an die Eltern (und Großeltern) jüngerer Kinder, hier können Sie ihn kostenlos bestellen.

Wie mit der Unsicherheit umgehen?

Hilfreich kann es außerdem sein, den Blick auf das zu richten, was gelingt. Je stressiger der Alltag ist, je mehr Streitigkeiten da sind, umso weniger geschieht das von selbst. Daher ist es wichtig, zwischendurch immer wieder innezuhalten und sich zu fragen: Was haben wir geschafft? Worauf sind wir stolz?

Aus dieser Haltung heraus kann man sich dann auch damit auseinandersetzen, wie man mit der Unsicherheit in Bezug auf Erziehungsfragen – alleine und zu zweit – umgeht. Nämlich am besten, indem man Wege ausprobiert und sie auch wieder verlässt, wenn sie nicht passen, und indem man die Unsicherheit aushält.

Dafür ist es wichtig, gut im Kontakt zu bleiben – mit sich selbst, mit dem Partner oder der Partnerin und mit den Kindern. Wenn wir Jamie Holmes darin folgen, dass die „Herausforderung des heutigen Lebens (darin besteht) herauszufinden, wie man sich verhält“, dann gilt es, das in der ständigen Auseinandersetzung miteinander zu tun, denn Verhalten findet immer in Beziehung(en) statt.

Dann kann man als Eltern auch seinen Kindern ein gutes Vorbild darin sein, mit Unsicherheit umzugehen. Denn die Herausforderung wird in absehbarer Zeit nicht kleiner werden.


Haben Sie selbst eine Frage an unsere Expertinnen im Familienrat? Dann schreiben Sie uns bitte: redaktion@in-gl.de

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Nina Tackenberg leitet als Elternzeitvertretung die Katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle in Bergisch Gladbach. Sie hat einen M.A. in Arbeits- & Organisationspsychologie sowie ein Diplom in Sozialer Arbeit, ist Systemische Coachin (DGSF), Gesundheits- und Krankenpflegerin.

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