Neben knappen Kapazitäten und fehlendem Fachpersonal drücken Tarifabschlüsse für die Erzieher:innen auf das System der Kinderbetreuung: Die Finanzierung könnte in Schieflage geraten, machten die Träger bei einer großen Demo vor dem Landtag in Düsseldorf klar. Es gibt aber auch Kindertagesstätten, in denen es relativ rund läuft. Zum Beispiel in der evangelischen Kita Quirl. Doch auch dort macht sich die Krise bemerkbar.

Ihrer Kita gehe es noch vergleichsweise gut, sagt Jennifer Altenweg, die Leiterin der Kita Quirl fast schon entschuldigend. Die evangelische Einrichtung auf dem Quirlsberg in der Stadtmitte betreibe vier Gruppen mit 19 Fach- und Assistenzkräften. 80 Kinder unter und über drei Jahre könnten so versorgt werden.

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Die relativ gute Ausstattung mache sich auch in den Betreuungszeiten bemerkbar: „Im vergangenen Jahr mussten wir vergleichsweise selten die Zeiten reduzieren.“ Die Eltern würden gut unterstützen, sie seien vorher per Rundmail über Engpässe infolge kranker Mitarbeiterinnen informiert worden. Da seien stets Lösungen gefunden worden.

Jennifer Altenweg leitet die Kita Quirl. Foto: Holger Crump

Nachfrage steigt

„Wir haben tatsächlich alle Stellen besetzt“, sagt Altenweg. Dies liege möglicherweise am Träger, den Gehältern, das wertschätzende Miteinander unter den Kolleginnen. Zudem würde sie früh Personal aufbauen. „Wir übernehmen gerne Praktikanten, sofern es für beide Seiten passt.“ Auch später, sollte ad hoc keine Stelle frei sein. Selbst die Mutter eines ehemaligen Kita-Kindes würde nun hier arbeiten.

Man achte auf das Team – „das merken auch die Eltern, hier passt die Stimmung“.

Während beim Personal alles gut läuft, herrscht bei den zugewiesenen Kapazitäten Engpass: „Wir bekommen bei den U3-Kindern noch nicht mal alle Geschwisterkinder unter“, beklagt die Erzieherin.

Kindertagespflege sei dagegen bei vielen Eltern nur Plan B, nicht zuletzt aufgrund der im Vergleich zum Kita-Personal kürzeren Ausbildung, höre sie immer wieder. „Eltern wollen auch keine Tagesmütter, die alleine arbeiten. Sie schätzen das Team einer Kita, in dem auch mal gute und schlechte Dinge reflektiert und kontrolliert werden,“ beobachtet Altenweg.

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Kita-Bedarf: Ein Drittel nutzt (bekommt) kein Angebot

Wie groß ist der Betreuungsbedarf der Eltern in Bergisch Gladbach bei Kita und OGS? Aufschluss soll eine Elternbefragung liefern, welche die Stadt im September durchgeführt hat. Erste Ergebnisse stellte die Verwaltung nun im Jugendhilfeausschuss vor: Fast ein Drittel der teilnehmenden Eltern nutzt oder bekommt keine Betreuung, die meisten suchen einen Kita-Platz, fast alle wollen einen OGS-Platz.

Anmeldephase läuft – auch per App

Die Nachfrage nach Betreuung für die Kinder steige: „Ich könnte gut fünf Plätze in 45-Stunden-Angebote umwandeln“, sagt Altenweg. Lange Betreuungszeiten würden immer mehr gewünscht, „Eltern brauchen dies, sie müssen arbeiten!“ Sie berichtet von langen Anfahrten der Eltern von Schreibtisch in die Kita. Ein Stressfaktor im Alltag, wenn Betreuungs- und Arbeitszeit zeitlich auf Kante genäht seien.

Es klingelt an der Tür. Ein Vater reicht einen Anmeldebogen herein. Einer von vielen, der sich in diesen Tagen einen Platz im Kita-Jahr 2024/25 sichern will. „Bei dieser Familie, die aus Osteuropa stammt, lief es einfach super. Sie haben sich vorgestellt, brachten eine Dolmetscher-App mit, so haben wir uns quasi barrierefrei kennengelernt.“

In anderen Fällen gibt es gleichwohl Sprachbarrieren, die schwierig zu überbücken seien. Das mache die pädagogische Arbeit schwierig.

Flüchtlinge würden einen Großteil der Anmeldungen ausmachen, so Altenweg, zudem Anwohner-Familien sowie Zugezogene. Über Little Bird kämen viele Betreuungswünsche herein, sowie per Telefon. Ja, die Anfragen seien enorm gestiegen, bestätigt Altenweg ohne lange nachzudenken. Die fehlenden Kapazitäten bei den Kita-Plätzen machten sich deutlich bemerkbar.

Wohnortnähe entscheidend

An ihren Vergabekritierien habe dies indes nicht viel geändert: „Wichtig ist für uns bei der Auswahl von Anmeldungen vor allem die Nähe zum Wohnort,“ erläutert die Leiterin. Und natürlich die Frage, ob die Eltern das Konzept tragen würden. Sprache und Geschlecht kämmen mit Blick auf die Zusammensetzung der Gruppen dazu. „Das Anmeldedatum spielt für mich keine Rolle, sonst hätten Zugezogene ja gar keine Chance“.

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Der Start in einer Kita oder der Kindertagespflege ist für Klein und Groß aufregend. Das Abenteuer Kita beginnt jedoch schon meist früher – mit der Suche nach einem Betreuungsplatz. Denn die sind rar. Da stellen sich einige Fragen: Wer sind die Anbieter, warum ist das Angebot so knapp, und was muss man tun um einen Platz in Bergisch Gladbach zu bekommen? Unsere Kita-Checkliste hilft Eltern bei der Planung!

Baustelle Inklusion

Rund fünf bis sechs Kinder mit erhöhtem Förderbedarf würden in der Kita Quirl betreut, die Erzieherinnen hätten dazu entsprechende Fortbildungen gemacht – dennoch fehlt es an Fachpersonal. Logopäden, Motopäden – das heilpädagogische Personal ist gesetzlich nicht vorgesehen. Nur mit Fortbildungen alleine würde man dem Bedarf nicht gerecht.

„Der Betreuungsbedarf wird mehr“, prognostiziert die Pädagogin. Alleine drei Kinder benötigten derzeit auf dem Quirlsberg eine 1-zu-1-Betreuung. „Davon ist noch keine bewilligt“, klagt Altenweg. Das Antragsverfahren dauere zu lange, erst recht wenn spezielle Assistenzkräfte gefordert seien.

„Inklusion, ja, da sind wir offen“, sagt Altenweg, nicht zuletzt mit Blick auf die anstehende Aufgabe der heilpädagogischen Gruppen. Gleichwohl sei auch in der Kita Quirl nicht alles machbar. Die Kita sei nicht barrierefrei, die Turnhalle im Untergeschoss per Rollstuhl nicht zu erreichen. Auch die WCs und Türdurchfahrten seien nicht geeignet.

„Alle Kinder mit erhöhtem Förderbedarf einfach so in die Kitas zu schicken, das wird nicht klappen. Entsprechende Aussagen sind Augenwischerei“, macht sie unmissverständlich klar. Da würden inklusive Kinder irgendwann ohne Betreuung im System hängenbleiben.

Durch Kostensteigerungen bleibt das System Kita einmal mehr eine Baustelle, Foto: Thomas Merkenich

PiA der richtige Weg

Die Initiative der Stadt zum Bau von Kitas findet Altenweg richtig. An einer Stelle des Problems müsse man schließlich anfangen, um die Betreuungskapazitäten auszubauen. Personal werde sich finden.

Die Stadt als Träger der Kitas – dieses Modell könne sie sich auch vorstellen. Aus Kostengründen sei sie skeptisch, ob die freie Wohlfahrtspflege oder die Kirchen (wie von der Stadt nach wie vor geplant) als Träger bei den Sofort-Kitas einspringen würden.

Die Kita-Ausbaupläne in der Stadt im Detail

Sofortkita Innenstadt

An der Jakobstraße hinter dem Bahnhof in der Innenstadt werden (wie schon lange geplant) die alten Flüchtlingsunterkünfte freigezogen und abgerissen. Auf dem 3800 qm großen Grundstück wird eine vierzügige Kita mit rund 70 Plätzen gebaut, später ist dort auch ein Spielplatz vorgesehen.

Sofortkita Schildgen

Am Nittumer Weg in Schildgen liegt ein städtisches Grundstück mit 940 qm, das zur Zeit als Parkplatz genutzt wird. Hier entsteht eine dreizügige Kita mit rund 50 Plätzen; die Parkplätze fallen weg, ein Teil der Fläche wird entsiegelt.

Sofortkita Sand

An der Schulstraße in Sand, neben dem Friedhof und hinter dem Schotterparkplatz, wird eine Wiese bebaut, die als Reservefläche für den Friedhof vorgesehen war. Das Grundstück mit 1700 qm reicht ebenfalls für eine vierzügige Kita mit weiteren 70 Plätzen.

Sofortkita Lena-Wiese / Am Fürstenbrünnchen

Für den Bau einer Kita am Rand der Bienen- und Blumenwiese am Lückerather Anger an der Straße „Am Fürstenbrünnchen“ hatte es schon 2020 einen Beschluss gegeben, der nach der Kommunalwahl zurückgestellt worden war. Im September 2023 setzte die CDU durch, diesen Standort ebenfalls im Sofort-Kita-Programm voran zu treiben.

Weitere Sofortkita (noch offen)

Der Standort einer möglichen weiteren Sofortkita ist noch offen, ein Grundstück im Bereich Moitzfeld / Bensberg / Lückerath werde geprüft, hatte die Stadt im Juni erklärt; in der aktuellen Vorlage wird erneut der Rotdornweg in Moitzfeld erwähnt.

AWO-Kita Mondsröttchen / Am Reiser (Lückerath)

Die vierzügigen Kita Mondsröttchen mit 90 Plätzen befindet sich bereits in Bau und soll laut Planung zum Kitajahr 2024/25 in Betrieb gehen. 

Kita auf dem Carpark-Gelände (Lückerath)

Auf dem ehemaligen Areal der belgischen Armee an der Bensberger Straße in Lückerath soll nun doch eine große Kita gebaut werden, auf der Grünfläche zwischen Flüchtlingsunterkunft und dem Seniorenwohnheim. Dazu müssen zunächst der Flächennutzungs- und der Bebauungsplan geändert werden.

Spezialkita für Kinder mit Autismusspektrum-Störungen (Hebborn)

Diese Kita, ebenfalls von der AWO betrieben, soll auf dem brachliegenden Grundstück gegenüber der Grundschule Hebborn an der Odenthaler Straße entstehen, die Ausschreibung steht bevor.

Kita Weig-Gelände (Zanders-Areal)

Auf dem Gelände der ehemaligen Weig-Kartonagenfabrik am Rande des Zanders Areals an der Cederwaldstraße soll parallel zur einer Grundschule 21 auch eine Kita mit 90 Plätzen gebaut werden. Das hatte der Jugendhilfeauschuss im Mai beschlossen, über seine Zuständigkeit wird allerdings noch gestritten.

Fehlt nur das Fachpersonal. „Die paxisorientierte Ausbildung (PiA) geht da in die richtige Richtung. Die Bezahlung motiviert die Auszubildenden“, sagt die Erzieherin aus Erfahrung.

Doch den Bedarf decke das noch lange nicht. Schließlich müssten auch Nachfolger für jene Erzieher:innen ausgebildet werden, die in Rente gingen. Flaschenhals seien zudem die Kapazitäten an den Schulen, welche die Erzieher:innen ausbilden würden.

Vorhandene Plätze bedroht

Es geht der Kita auf dem Quirlsberg relativ gut. Dennoch war das gesamte Team am 19. Oktober zur Demo vor dem Düsseldorfer Landtag mitgefahren. Gemeinsam mit vielen weiteren Vertreter:innen der freien Wohlfahrtspflege aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis.

„Die Anpassung der Löhne für die Erzieher:innen war absolut richtig und erforderlich“, sagt Jennifer Altenweg mit Blick auf die zurückliegenden Tarifabschlüsse. Nun müsse die Finanzierung der Kitas aber nachziehen. Sonst würden möglicherweise Einstellungen reduziert, es drohten Kündigungen und in der Folge der Wegfall von ohnehin zu knappen Kita-Plätzen.

Ein Kollaps des Systems – das scheint keine Übertreibung zu sein. Mitte September hatte die AG Freie Wohlfahrtspflege in einem Brief an Landtagsabgeordnete genau davor gewarnt. Angekündigte Finanzhilfen des Landes würden nur einen Bruchteil der Kostensteigerungen bei Kitas ausgleichen. „Stell Dir vor Du kommst als Kind in die Kita und die Erzieherin ist nicht da,“ warnt Jennifer Altenweg.

ist Reporter und Kulturkorrespondent des Bürgerportals.

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