Ragnar Migenda ist als Beigeordneter u.a. für die Stadtplanung und den Klimaschutz zuständig. Foto: Thomas Merkenich

Bergisch Gladbach benötigt viel mehr Fläche für (bezahlbaren) Wohnraum und die Expansion lokaler Unternehmen. Die Versiegelung weiterer Flächen ist mit Blick auf das Klima aber nicht opportun. Bei der Auflösung dieses Dilemmas gibt es neue Ansätze, aber auch neues Konfliktpotential. Im Mittelpunkt stehen „Handreichungen“ des grünen Beigeordneten Migenda zum Regionalplan, die zunächst nur an Grüne, SPD und FDP gingen.

Eigentlich ist Bürgermeister Frank Stein im Urlaub. Dennoch verschickte er am Samstagabend um 19:46 Uhr eine Mail an die Vorsitzenden aller sieben Fraktionen im Stadtrat. Damit reagierte er auf einen Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers, dem zwei „Handreichungen“ des Beigeordneten Ragnar Migenda für die Ampel-Fraktionen zugespielt worden waren – mit einigen Neuigkeiten in der Frage, wo was in Bergisch Gladbach gebaut werden könnte.

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Ein Vorgang, der sowohl formal als auch inhaltlich bemerkenswert ist.

Der formale Konflikt: Stein will Praxis ändern

Die Freien Wähler kritisieren die exklusive Information an die Mehrheitsfraktionen als undemokratisch. Immerhin gehe es beim Regionalplan darum, wie sich Bergisch Gladbach in Zukunft entwickelt, das hätte früher und öffentlicher diskutiert werden müssen, sagt FWG-Ratsherr Rainer Röhr. Eigene Anfragen zum Thema habe die Verwaltung bislang nicht beantwortet.

CDU-Fraktionschef Michael Metten spricht von einem einmaligen Vorgang: „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Verwaltungsmitarbeiter gezielte mehrseitige Ausarbeitungen für einzelne Fraktionen erstellt haben.“ Gemäß des Gleichbehandlungsgrundsatzes müssten alle Fraktionen informiert werden, daher prüfe die CDU „die juristische Dimension des Handelns von Herrn Migenda“.

Dagegen ist sich SPD-Fraktionschef Klaus Waldschmidt sicher, dass auch die Oppositionsfraktionen die Informationen erhalten hätten, wenn sie danach gefragt hätten: „Dass die zuständigen Beigeordneten Fraktionen und Ratsmitgliedern Fragen beantworten, die diese zu ihrer politischen Willensbildung benötigen, ist nicht nur ständiges Verfahren, sondern entspricht auch der Informationspflicht gegenüber den  Entscheidungsträgern.“

So ordnet es auch der Bürgermeister ein: „Diese Information beruhte auf einer Auskunftsbitte der genannten Fraktionen. Solche Bitten (aller) Fraktionen sind nichts außergewöhnliches und werden schon immer seitens der Verwaltung entsprechend beantwortet“, schreibt Stein. Wer fragt, erhalte Antwort. Und zwar bilateral.

Die aktuelle Diskussion wolle er jedoch zum Anlass nehmen, diese Praxis zu ändern, kündigt Stein gegenüber dem Bürgerportal an: alle schriftlichen Auskünfte oder Präsentationen auf Anfragen einzelner Fraktionen sollen zukünftig „automatisch an alle übrigen Fraktionen weitergeleitet werden“.

Der Inhalt: Platz für Wohnen und Arbeiten

Inhaltlich geht es in den „Handreichungen“ um ein für Bergisch Gladbach wichtiges Thema. Im neuen Regionalplan Köln will die Bezirksregierung ausweisen, in welchen Bereichen in Zukunft gebaut werden darf, und wo nicht.

Bergisch Gladbach hat diese Fragen für sich zwar 2018 mit dem Flächennutzungsplan 2035 weitgehend entschieden, doch der Regionalplan weist weiter in die Zukunft: nur was in dieser Karte mit großem Maßstab eingezeichnet ist, steht in den kommenden Jahrzehnten theoretisch für Wohnungen oder Gewerbe zur Verfügung.

Zudem hatte der Flächennutzungsplan in GL einige „weiße Flecken“ offen gelassen, die jetzt geklärt werden sollen.

Der Regionalplan weist aus, wo Siedlungsfläche weggenommen (rot) oder hinzugeführt (grün) werden könnten.

Bis spätestens zum 31. August muss die Stadt Bergisch Gladbach ihre Stellungnahme abgeben, zuvor der Stadtrat zustimmen. Im Juni hatte die Stadtverwaltung bereits eine Beschlussvorlage eingebracht – die vom Stadtrat jedoch vertagt worden war. Weil Fragen offen und Abstimmungen in der Koalition erforderlich waren.

Die Ampelkoalition hatte Fragen formuliert, und vom zuständigen Beigeordneten Migenda Antworten erhalten. Zwar betont der Bürgermeister, die Position der Stadtverwaltung habe sich damit nicht verändert – und doch enthalten sie einige Neuigkeiten, sowohl mit Blick auf die Wohngebiete wie auf die Gewerbegebiete.

Drei „weiße Flecken“ verschwinden endgültig

Bei den Wohngebieten sind vor allem drei Bereiche strittig, die im Flächennutzungsplan als „weiße Flecken“ nicht endgültig entschieden worden waren. Zu klären ist, ob die Flächen in Katterbach-Lubusch, an der Alten Wipperfürther Straße in Hebborn und in Asselborn-Unterheide aus Bergisch Gladbacher Sicht im Regionalplan stehen bleiben, oder endgültig gestrichen werden.

Für die SPD hat sich mit dem Aus der Papierfabrik Zanders und der damit verbundenen Tatsache, dass das gesamte 37 Hektar große Gelände für eine neue Nutzung zur Verfügung steht, die Lage grundsätzlich verändert.

Migendas Handreichung streicht deutlich heraus, dass „auf Zanders“ so viel Platz für neue Wohnungen und vor allem auch für sozialen Wohnungsbau ist, dass die drei relativ kleinen „weißen Flächen“ in den grünen Außenbereichen an Bedeutung verlieren. Auf insgesamt 16 Hektar könnten da, bei einer Bebauung mit Ein- und Mehrfamilienhäusern, etwa 500 Wohneinheiten entstehen. Alleine auf dem Wachendorff-Gelände sind 450 Einheiten geplant, auf Zanders seien je nach Dichte zwischen 2000 und 4000 möglich.

Migendas Fazit: „Somit erscheint es aus Aussicht des Unterzeichners weder sachlich, fachlich, zeitlich noch wirtschaftlich sinnvoll und notwendig, die „Weißen Flecken“ einer Bebauung zuzuführen.“

Für CDU-Fraktionschef Metten geht die Verwaltung mit dieser Empfehlung deutlich über die Beschlusslage des Stadtrats hinaus.

Die SPD hingegen könne Migendas Argumentation folgen, bestätigt Fraktionschef Waldschmidt. Da sich die Grünen ohnehin gegen eine Bebauung in den ökologisch wichtigen Randbereichen stellen scheint die Entscheidung klar.

Neue Potenziale für Gewerbeflächen

Die FDP als dritter Koalitionspartner richtet die Aufmerksamkeit auf die Gewerbeflächen: „Wir müssen große Anstrengungen unternehmen, um zusätzliche Gewerbeflächen zu entwickeln. Das ist wichtig aus städteplanerischen Gesichtspunkten, aus ökologischen Überlegungen – Nähe von Arbeitsplatz und Wohnort – und um die Steuerkraft der Stadt zu stärken,“ betont Fraktionschef Jörg Krell.

Ein Punkt, den die Grünen nicht bestreiten, sagt der Ortsvereinsvorsitzende und stadtpolitische Sprecher Sascha Gajewski. Allerdings sei der Regionalplan mit seinem lange Zeithorizont nicht das Instrument, kurzfristige Bedarfe zu decken. Unter dem Strich sehe er bei dem Thema keine Gefahr für die Ampelkoalition in Bergisch Gladbach, der Weg zu einem Konsens sei sichtbar.

Migenda listet in der zweiten „Handreichung“ 17 Flächen auf – und beziffert zum ersten Mal, wieviel Gewerbefläche auf dem Zanders-Gelände neu zu verplanen ist: rund 18 Hektar. Das ist die Hälfte der Gesamtfläche – und sei nur eine sehr grobe Schätzung. Denn wie das Areal tatsächlich genutzt wird, das soll erst im weiteren Planungsprozess festgelegt werden.

Auch hier kritisiert die CDU, dass die Verwaltung im Zanders-Ausschuss entsprechende Zahlen schuldig geblieben sei, sie in der Ausarbeitung für die Ampel nun aber noch nenne.

In Migendas Liste tauchen zudem ein paar kleinere Optionen auf, die bislang nicht oder nur am Rande diskutiert worden waren.

So greift Migenda einen alten Vorschlag der Freien Wähler auf, die Parkflächen rund um das Technologiezentrum Bensberg zu arrondieren, in Form eines mehrgeschossigen Parkhauses oder durch die Einbeziehung des angrenzenden Baumarktes „Baumarkt“ (früher „Knauber“) – und so mehr Platz für Gewerbe zu schaffen.

Zudem könnte das Gebiet „In der Kaule“ in Refrath neu genutzt werden, auch am Kreishaus in Heidkamp gebe es nicht genutzte Flächen. Die Gespräche mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in Bensberg über eine teilweise neue Nutzung des weitläufigen Geländes sollten fortgesetzt werden.

Starkes Plädoyer für Gewerbegebiet Spitze

Besonderen Wert legt Migenda nach wie vor auf das Projekt eines interkommunalen Gewerbegebiets in Spitze, das seit vielen Jahren gemeinsam mit Kürten erwogen wird, aber auf Eis liegt. Durch die gemeinsame Erschließung mit den Nachbarn könne man große Vorteile erzielen, Spitze sollte „unbedingt im Regionalplan verbleiben“. Eine von der Bezirksregierung vorgesehene „deutliche Schrumpfung“ sei „nicht hinnehmbar“.

Zuletzt hatte die CDU eindeutig gegen Spitze argumentiert, weil es zu weit von der Autobahn entfernt liege. Dagegen hatte die CDU eine völlig neue Fläche an der A 4 an der Grenze zu Overath ins Spiel gebracht, das bislang in keinem der Pläne auftaucht.

Endgültig verabschiedet sich Migenda von einem Gewerbegebiet in Frankenforst (G-FR 1a „Rennweg“), neben dem Gelände für die Feuerwache Süd. Auch die Erweiterung der Gewerbefläche an der Zinkhütte zugunsten eines neuen Krüger-Verwaltungsgebäudes im Neuborner Busch spielt keine Rolle mehr.

An diesem Montag beschäftigt sich der Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und FDP noch einmal mit dem Thema, dann steht das Thema am 23. August im Stadtentwicklungs- und Planungsausschuss auf der Tagesordnung, bevor der Stadtrat die Stellungnahme für den Regionalplan beschließen soll. Am 30. August und damit in allerletzter Minute.

Dokumentation:

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Journalist, Volkswirt und Gründer des Bürgerportals. Mail: gwatzlawek@in-gl.de.

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6 Kommentare

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  1. Sehr geehrter Herr Migenda,

    Ich bin sehr enttäuscht über den gestrigen Ratsbeschluß und die Freigabe der Waldflächen an der A 4!

    Warum werden nicht die großen und hässlichen Parkplatzflächen in der Innenstadt für Gewerbeflächen genutzt oder das sehr hässliche und Flächeneinnehnende Kaufland Gelände, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

    Ich erwarte von den Grünen, dass sie sich dafür einsetzen, dass überhaupt keine Flächen mehr versiegelt werden und schon gar keine Waldflächen mehr gerodet werden.

  2. Meiner Meinung nach sollte dieses Amt nach Möglichkeit mit politisch neutralen Personen besetzt werden. Ferner sollten Sie nicht aus der Ferne kommen. Wir
    brauchen eine ganz neue Einstellung zur Wohnraumbeschaffung. Wenn Familien und deren Nachkommen siedeln wollen, kann das nicht opportun sein. Es kann nicht sein, dass grün gewordene Wohlstandsbürger ihr Umfeld von notwendiger Bebauung mit Unterstützung von Gesinnungsgenossen freihalten können. Das Bebauung , wenn immer auch möglich, nicht im Wald und der freien Landschaft erfolgt, sollte jedoch selbstverständlich sein.

  3. Ein völlig undemokratisches Gebahren des dem gesamten Stadtrat verpflichteten Grünen Ragnar Migenda. Gut zu wissen, dass der sozialdemokratische Bürgermeister Frank Stein aus dem Urlaub heraus gleich gegengesteuert hat. Damit hat wenigstens er politisches Gespür bewiesen.

    1. Hallo Herr Jorberg,
      sind Sie sicher, dass der Bürgermeister politisches Gespür bewiesen hat. Den „schwarzen Peter“ hat nun Herr Migenda. Aber als Verwaltungschef müsste doch der Bürgermeister über solche Vorgänge zuvor informiert sein. Und so ein Tun unterbinden.

  4. Der Verrückte Typ weiss garnicht, dass er so die Verlängerung der Bahnlinie 1 komplett auf dem Gewissen hat. Was ist das für ein Grüner? Das ist garkein Grüner! Das ist ein möchtegern Bürgermeister der nix kann

  5. „Handreichungen“, wohin mag uns die verbale Umgehung demokratisch unmöglicher Vorgänge noch führen? Bei dem Papier handelt es sich wieder um eine Kreation einer Hinterzimmer-Politik, die nicht so schnell aufgefallen wäre, hätte der KSTA nicht Wind davon bekommen. Nun meint der Bürgermeister, die Non-Ampel-Fraktionen hätten das auch noch zu wissen bekommen. Wann??? Der SPD-Waldschmidt beeilt sich zu versichern, das wäre doch schon immer so gewesen und spielt dabei sicher auf die Spielchen an, die sich die große Koalition zum Schaden anderer Fraktionen damals geleistet hat.

    Das Zocken um Wohn- und/oder Gewerbe-Potentialflächen auf dem ZANDERS-Gelände oder sonstwo ist wie Lesen im Kaffeesatz. Man muss also damit rechnen, nicht so richtige bis falsche Zahlen in den Regionalplan zu geben. So what. In 10 Jahren weiß man mehr, kann aber heute sicher keine verlässlichen Zahlen nennen.