Die lokalen Initiativen begrüßten die Ratsmitglieder vor dem Rathaus mit einer eindeutigen Erwartungshaltung: Das Klimaschutzkonzept der Stadt muss jetzt endlich verabschiedet werden, und dann ran an die Arbeit. Der Rat lieferte und bekam am Ende einen ziemlich breiten Mehrheitsbeschluss hin. Aber nicht ohne eine letzte Runde durch ein Labyrinth von Anträgen und Verfahrensfragen zu drehen.

Ende gut, alles gut? „Das ist Demokratie, darauf können wir stolz sein. Bei Putin und den anderen Potentaten hätte es diese Debatte nicht gegeben“, sagt Bürgermeister Frank Stein in den Applaus von Ratsmitgliedern und Bürger:innen hinein. Sie freuten sich über die breite Mehrheit für das eher schmale Klimaschutzkonzept der Stadt Bergisch Gladbach.

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Mit einem Votum von CDU, Grünen, SPD, FWG und FDP über die weltanschaulichen Lager hinweg hat der Stadtrat am Dienstagabend das Klimaschutzkonzept in einer angepassten Variante verabschiedet. Das heißt, 90 Prozent des Konzeptes wurde mit dieser breiten Mehrheit verabschiedet. Die restlichen 10 Prozent wurden zwar ebenfalls beschlossen, aber nur mit den Stimmen von Grünen, SPD und FWG.

Zur Erinnerung: Um Bergisch Gladbach bis 2045 „treibhausgasneutral“ zu machen hatten die Klimaschutzmanagerinnen und das Büro Gertec ein „Integriertes Klimaschutzkonzept“ (IKSK) aufgeschrieben, das im ersten Band eine gründliche Bestandsaufnahme und Zieldefinition liefert. Der zweite Band enthält 43 Maßnahmen in acht Handlungsfeldern. Nach Einschätzungen von Experten ein Minimalprogramm.

Ein erster Anlauf zur Verabschiedung wurde im August vertagt, nachdem die FWG Beratungsbedarf angemeldet hatten. Seither versuchten die Fraktionen in mehreren Gesprächsrunden, einen Konsens zu erreichen, der auch einen politischen Wechsel bei der nächsten Wahl 2025 überdauern könnte.

Im Hauptausschuss scheiterten die beiden Blöcke, Grüne, SPD und FWG versus CDU und FDP erneut an einer Einigung und erlaubten sich eine weitere heftige, in Teilen emotionale Debatte. Dennoch kam es danach zu weiteren Gesprächen hinter den Kulissen.

Die Ratsmitglieder wurden im Innenhof des Bensberger Rathaus von den Klima-Initiativen mit einem vorweggenommenen Dank begrüßt. Fotos: Thomas Merkenich

An diesem Dienstag liegen im Stadtrat erneut zwei Anträge der beiden Lager vor. Sie enthalten zwar im Kern nach wie vor den Verwaltungsvorschlag, schlagen aber jeweils eigene Änderungen vor. Wir dokumentieren beide Anträge unten.

Grüne, SPD und FWG hatten in ihrem Antrag lediglich den Maßnahmenband angepasst und eine Reihe von Punkten entschärft (fleischloses Essen in Schulkantinen, etc.), wie es mit CDU und FDP verhandelt worden war. Alle Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit, Beratung und Partizipation wollen sie in einem Punkt 8.1. zusammenfassen und für die Umsetzung ein Klimaschutzbudget von 220.000 Euro pro Jahr festlegen.

Friedrich Bacmeister, Ko-Fraktionschef der Grünen, fordert das seiner Meinung nach überfällige Bekenntnis der Stadt für den Klimaschutz ein. Foto: Thomas Merkenich

CDU und FDP fordern weiterhin, darüber hinaus die Verwaltung bei der Umsetzung des IKSK explizit auf die sogenannten SMART-Kriterien des Wirtschaftsministeriums (spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch, terminiert), eine laufende Evaluierung und ständige Weiterentwicklung zu verpflichten. Das Klimaschutzbudget wollen sie auf 90.000 Euro reduzieren.

CDU-Fraktionschef Michael Metten. Foto: Thomas Merkenich

Diese Forderungen von CDU und FDP lehnen Grüne und SPD zunächst vehement ab. 90.000 Euro reichten vorne und hinten nicht aus, und die SMART-Regeln, Evaluierung und Anpassung seien ohnehin im IKSK enthalten.

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Mit dem Entwurf für das Integrierte Klimaschutzkonzept der Stadt Bergisch liefern die Klimaschutzmanagerinnen eine gründliche Bestandsaufnahme, spüren Verbesserungspotenziale auf, entwickeln eine Strategie und listen jede Menge konkreter Maßnahmen auf. Jetzt geht der Entwurf in die Beratung der Ausschüsse – wir haben schon einmal einen Blick hinein geworfen. Dabei fällt auf: den größten Teil der Einsparungen müssen die privaten Haushalte liefern.

„Endlich den Sack zumachen“

Für die Verwaltung stellen der Beigeordnete Ragnar Migenda und die Klimaschutzmanagerin Jana Latschan noch einem klar, dass das IKSK „natürlich“ allen Kriterien des Wirtschaftsministeriums und auch den Förderkriterien entsprechen, eine solche Ergänzung also nicht nötig sei. Eine Aussage, die CDU-Fraktionschef Michael Metten gleich wieder in Frage stellt.

Bürgermeister Frank Stein, der die Sitzung leitet, appelliert an den Rat, nach den vielen Monaten an Verhandlungen, den vielen „offenen und fairen Diskussionen“, jetzt endlich „den Sack zuzumachen“. Dann ist jedoch eine Sitzungsunterbrechung notwendig, in der die Fraktionsspitzen unter Federführung von CDU-Vize Christian Buchen noch einmal das weitere Vorgehen aushandeln.

Bürgermeister Frank Stein. Foto: Thomas Merkenich

Komplizierte Abstimmungsfolge: Konsens und Dissens transparent machen

Das Ergebnis ist eine Verknüpfung der Anträge und eine komplizierte Abstimmungsfolge:

  1. Zunächst wird Band 1 abgestimmt.
  2. Über die Punkte 1 – 3 des CDU/FDP-Antrags (SMART, Evaluierung, Anpassung) wird getrennt votiert, allerdings ohne Halbsatz „und erstellt eine entsprechende Synopse“.
  3. Beim Maßnahmenband werden zunächst alle Punkte bis 8.1. im Paket auf Basis des im Hauptausschuss verabschiedeten Antrags von Grünen, SPD und FWG abgestimmt.
  4. Für den Punkt 8.1. mit dem Budget gibt es ein weiteres Votum.
Friedrich Bacmeister und Theresia Meinhardt (2.v.r.) stehen der Fraktion der Grünen vor. Foto: Thomas Merkenich

Ein weiterer Kompromiss, den zunächst Theresia Meinhardt, Ko-Chefin der Grünen, der eigenen Fraktion erläutern muss: Die Punkte 1 -3 würden zwar aufgenommen, um letzte Zweifel der Opposition aufzugreifen. Damit werde das IKSK nur noch einmal pauschal überprüft, aber keinesfalls noch einmal über die Maßnahmen debattiert. Sie gehe fest davon aus, dass die Verwaltung sauber gearbeitet habe.

Klare Mehrheiten – und klarer Auftrag für die Verwaltung

Bürgermeister Frank Stein gibt daraufhin zu Protokoll, dass die Verwaltung die Maßnahmen nicht noch einmal prüfen oder gar zur Abstimmung dem Stadtrat vorlegen werde. Die Verwaltung werde die Maßnahmen nun umsetzen, „das ist ganz klar“.

Der nun folgende Abstimmungsmodus werde immerhin „transparent machen, wo man sich einig ist, und wo nicht“, sagt Stein mit hörbarer Ungeduld.

Und so wird dann entschieden:

Für den Band 1 des IKSK stimmen CDU, Grüne, SPD, FWG, FDP und Bergische Mitte. Nur die beiden AfD-Vertreter votieren mit Nein.

Für die Punkte 1 – 3 des CDU/FDP-Antrags stimmt ebenfalls eine sehr breite Mehrheit, allerdings scheren hier drei oder vier Mitglieder der Grünen aus. Die Bergische Mitte das Einzelratsmitglied Frank Samirae enthalten sich.

Für den Maßnahmenkatalog ohne 8.1. votiert wiederum fast der ganze Stadtrat, nur die AfD ist dagegen, die Bergische Mitte enthält sich.

Für das Maßnahmenpaket 8.1. mit einem Budget von 220.000 Euro stimmt eine Mehrheit von Grünen, SPD und FWG. Dagegen sind CDU, FDP, AfD und Samirae. Die Bergische Mitte enthält sich.

Damit ist das gesamte Klimaschutzkonzept verabschiedet, mit den SMART-Forderungen der Opposition und dem „großen“ Klimaschutzbudget.

Foto: Thomas Merkenich

Hinweis der Redaktion: Die einzelnen Abstimmungen verliefen zum Teil chaotisch, Ergebnisse wurden nicht klar angesagt. Die von uns dargestellten Mehrheiten sind korrekt, im Detail könnten sich Fehler eingeschlichen haben.

Reaktionen

Die ersten Parteien und Initiativen haben bereits auf den Beschluss reagiert.

Die Grünen

Bergisch Gladbach hat sich endlich ein Klimaschutzkonzept gegeben. Mobilitäts- und Energiewende, nachhaltige Sanierung der städtischen Infrastruktur, kommunale Wärmeplanung, Offensive für den PV-Ausbau – die Liste der Maßnahmen ist lang und muss nun noch stringenter angepackt werden. Mit diesem – mit breiter Mehrheit beschlossenen – Konzept ist das Arbeitsprogramm unserer Verwaltung festgelegt. Denn eins ist klar: unsere Stadt muss bis 2045 klimaneutral sein. Dies zu schaffen wird ein gemeinschaftlicher Kraftakt bleiben.

Mit Informationsangeboten, Best-Practise Beispielen und Vernetzungsangeboten möchten wir alle Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt auf diesem Weg mitnehmen. Diese Beratungsangebote befanden CDU/FDP nicht für unterstützenswert und stimmten gegen diese Maßnahmen. Wir danken daher besonders der FWG, dass sie diesen – in unseren Augen – wichtigen Baustein des Klimaschutzkonzepts mit uns gemeinsam verabschiedet hat. Klimaschutz wird nur gelingen, wenn wir alle Bürgerinnen und Bürger Bergisch Gladbachs dafür gewinnen können.

FWG

Die Freie Wählergemeinschaft begrüßt den heutigen Ratsbeschluss zum Klimaschutzkonzept und zeigt sich sehr zufrieden, dass sich fast alle Ratsfraktionen hinter das Konzept gestellt haben.

Fraktionsvorsitzender Benno Nuding: „Uns erfüllt das mit großem Stolz, denn wir haben einen wesentlichen Beitrag zu einer Kompromisslösung geleistet, hinter die sich alle stellen können.“

Die FWG hatte bei der ersten „Lesung“ im Rat einen Vertagungsantrag gestellt, um Zeit für interfraktionelle Gespräche zu gewinnen. 

Bis auf einen einzigen Punkt des Maßnahmenkataloges, bei dem es um Beratungsleistungen der Stadt geht, konnten sich die Fraktionen einigen und akzeptierten das aufgrund des FWG-Antrages in mehreren Verhandlungsrunden ausgehandelte Konzept.

Rainer Röhr, Stv. FWG-Fraktionsvorsitzender:  „Das ist gut so, denn was nützt ein Konzept, das nur eine knappe Mehrheit findet und von einem großen Teil der Stadtgesellschaft nicht akzeptiert wird?“

Der von CDU und FDP eingereichte Ergänzungsantrag, der eine laufende Evaluation des Konzeptes fordert, wurde nach einer Sitzungsunterbrechung mehrheitlich beschlossen und fand auch die Zustimmung der FWG.

Denn auch wir betrachten Klimaschutz als einen dynamischen Prozess und für uns ist klar, dass wir die Entwicklungen und Fortschritte ständig beobachten müssen, aber auch den Mut haben müssen, nicht effiziente Maßnahmen aufzugeben und durch Besseres zu ersetzen.

Initiative klimagerecht leben

Wir haben uns bei allen bedankt, die gleich für das Konzept stimmen würden – auch bei denen, die weiterhin versuchen würden, das Konzept zu verwässern. Das zeigt: in Bergisch Gladbach gibt es viele, die konsequenten Klimaschutz wollen; und deswegen Rückhalt für Parteien darstellen, die das unterstützen. 

Dokumentation

Der Antrag von CDU und FDP vom 30.10.2023

Der Antrag von Grünen, SPD und FWG mit dem Maßnahmenpaket 8.1., wie er im Hauptausschuss mit der eigenen Mehrheit verabschiedet worden war.

Band 1 des Integrierten Klimaschutzkonzeptes

Band 2 – Maßnahmen – des Klimaschutzkonzeptes

Journalist, Volkswirt und Gründer des Bürgerportals. Mail: gwatzlawek@in-gl.de.

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2 Kommentare

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  1. Ergänzend ist anzumerken, dass die Formulierung „SMART-Kriterien (sic!) des Wirtschaftsministeriums“ doppelt irreführend ist. Zum einen kommt das Dokument nicht vom Wirtschaftsministerium, zum anderen handelt es sich bei der SMART-Regel um ein allgemeines Managementkonzept der 1970er Jahre, auf welche das verlinkte Dokument lediglich aufsetzt.

  2. CDU/FDP behaupten (vgl. https://in-gl.de/2023/10/25/mit-kochkursen-retten-wir-das-klima-nicht-bergisch-gladbach/) , die sog. SMART-Regel sei „eine fundamentale Vorgabe des Wirtschaftsministeriums“ und gehöre zu „aufgestellten Kriterien von Wirtschaftsminister Habeck“. Es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass das stimmt. Das verlinkte Dokument versteht sich als „Arbeitshilfe“, kommt vom „Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (Difu)“ und verantwortlich i. S. d. § 18 Abs. 2 MStV ist Prof. Dr. Carsten Kühl.

    Bindende Vorschriften des Bundes kann ich hier nicht erkennen. Den Personenbezug auf den Bundesminister finde ich auch merkwürdig.