In einer Sondersitzung hat sich der Kreisausschuss mit der Krise der Kreisverwaltung mitten in der Corona-Krise befasst. Nach einer kritischen Bestandsaufnahme durch die SPD überwog die Erleichterung, dass der Krisenstab die Lage jetzt wieder in der Hand hat. Der Vorwurf an Landrat Stephan Santelmann, sich rechtswidrig verhalten zu haben, hat keinen Bestand. Aber eine große Frage bleibt offen.

Auf Antrag der SPD-Fraktion trat der Kreisausschuss (in Vertretung des Kreistags) am Dienstag zu einer digitalen Sondersitzung zusammen. SPD-Fraktionschef Gerhard Zorn begründete, warum er 18 Tage zuvor diese Sitzung beantragt hatte, ,,als Reaktion auf das „Chaos in der Chefetage“ im Kreis: „Die Politik muss handeln, wenn die Verwaltung gelähmt ist.“

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Im April, so Zorn, habe die Kreisverwaltung falsche Corona-Zahlen geliefert und den Eindruck einer Sicherheit vorgegaukelt, die nicht bestand. Durch die Entmachtung des Krisenstabs habe Landrat Stephan Santelmann die Lage verschärft – und nach seiner eigenen Corona-Erkrankung auch noch das Vertretungsrecht von Kreisdirektor Erik Werdel beschränkt. Ausgerechnet in der Krise, bilanziert Zorn, habe der Kreis „nicht mehr glaubwürdig“ gewirkt.

Zur Person: Landrat Stephan Santelmann war am 23. April positiv auf Corona getestet worden. Nach eigenen Angaben hatte die Erkrankung einen milden Verlauf – doch inzwischen ist der Landrat seit mehr als vier Wochen nicht im Dienst. Unabhängig von inhaltlicher Kritik wünschten die Vertreter aller Fraktionen im Kreistag Santelmann eine rasche und vollständige Gesundung.

Landrat Stephan Santelmann. Foto: RBK/Joachim Rieger

Inzwischen habe sich die Lage zwar gedreht, mit der Rückkehr des Krisenstabs unter Leitung von Werdel seien die größten Probleme rasch behoben worden, konstatiert Zorn.

Ein öffentlich gewordener Brief des Personalrats, der die Amtsführung und Personalpolitik Santelmanns auf verheerende Weise kritisiert hatte, weise jedoch auf tiefere Verwerfungen innerhalb der Kreisverwaltung hin, die später diskutiert werden müssten: „Es muss noch viel passieren, um die Glaubwürdigkeit wieder herzustellen.“

Diese Einschätzungen werden von FDP-Fraktionschef Alexander Engel geteilt; die anderen Oppositionsparteien im Kreistag halten sich mit öffentlichen Bewertungen weitgehend zurück.

Hat Santelmann rechtswidrig gehandelt?

CDU und Grüne, die im Kreistag gemeinsam die Mehrheit stellen, konzentrieren sich dagegen zunächst auf den Vorwurf der SPD, Santelmann habe rechtswidrig gehandelt, als er seinem ständigen Vertreter, Kreisdirektor Werdel nach der eigenen Erkrankung zunächst nicht das vollständige Mandat für die Corona-Bekämpfung gegeben hatte.

Es seien „sicherlich Fehler gemacht worden“, sagt Ursula Ehren, Ko-Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Aber für eine Krise wie diese Pandemie gebe es keine Blaupause. Die Fehler müssten lückenlos aufgearbeitet werden, um sie in Zukunft zu vermeiden. Geklärt werden müsse aber auch der „gewichtige Vorwurf“, Santelmann habe rechtswidrig gehandelt.

Für die CDU ergreift der Kreisvorsitzende Uwe Pakendorf das Wort, geht auf die Versäumnisse und auf Landrat Santelmann nicht ein, den er in früheren Stellungnahmen in Schutz genommen hatte und dann mit den Grünen nur vorsichtig abgerückt war.

Am Dienstag bedankt sich Pakendorf bei Werdel, der ganzen Kreisverwaltung und der Pressestelle für das Tempo, mit der sie die Handlungsfähigkeit des Kreises wieder hergestellt hätten: „Wir können in jeder Hinsicht ein extremes Vertrauen in diese Verwaltung haben,“ sagt Pakendorf.

Erik Werdel im Krisenstab. Foto: RBK/Joachim Rieger

Der Landrat und sein Vertreter

Die offene Frage, wie Santelmanns Verhalten nach seiner Erkrankung juristisch zu bewerten ist, muss dann ausgerechnet sein Vertreter Werdel beantworten. Dazu zitiert er aus einem juristischen Kommentar zur Kreisordnung, und macht eine feine Unterscheidung.

Grundsätzlich, so Werdel, sei der Kreisdirektor der allgemeine Vertreter des Landrats und berechtigt, alle Geschäfte des Kreises wahrzunehmen. Die umfassende Vertretungsmacht nach außen könne weder vom Landrat noch vom Kreistag beschränkt werden.

Im inneren Verhältnis, so Werdel weiter, könne der Landrat den Kreisdirektor aber durchaus anweisen, bestimmte Dinge nicht zu entscheiden. Sollte der Kreisdirektor es dennoch machen, müsse er mit disziplinarischen oder auch strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.

Genau das sei nun der Fall gewesen: Landrat Santelmann habe, als er erkrankte, Werdel ausdrücklich angewiesen, das Corona-Krisenmanagement nicht an sich zu ziehen. Denn dann hätte Werdel den Krisenstab wieder hochgefahren – Santelmann hingegen wollte den Krisenstab auflösen und seine Aufgaben in die normale Verwaltung integrieren.

Diese Einschränkung seines Mandats, gibt Werdel jetzt zu Protokoll, habe er akzeptiert. Sie sei sowohl zulässig als auch sinnvoll gewesen.

Denn er sei ebenso wie Santelmann davon ausgegangen, dass der Landrat für eine oder allenfalls zwei Wochen ausfällt, da hätte eine zwischenzeitliche Kehrtwende keinen Sinn gemacht: „Wir können ja nicht den Krisenstab wieder hochfahren und dann wieder einmotten, wenn der Landrat zurück ist“, sagt Werdel.

Als dann aber klar wurde, dass Santelmann so schnell nicht wieder zurückkehrt, und die Lage innerhalb der Kreisverwaltung völlig aus dem Ruder lief, veränderte sich die faktische und die rechtliche Lage. Am 12. Mai erteilte der Landrat – nachdem auch in der CDU Kritik unüberhörbar geworden war – Werdel dann doch das volle Mandat, die Bekämpfung von Corona so zu organisieren, wie er es für richtig hält.

Das sei auch rechtlich angezeigt gewesen, erläutert Werdel. Denn sobald klar ist, dass der Landrat auf Dauer dienstunfähig ist, müsse der Kreisdirektor als sein Vertreter völlig freie Hand haben. Genau das sei ja geschehen, damit stelle sich die Frage der Rechtswidrigkeit nicht.

Eine Erklärung, mit der sich im Kreisausschuss alle Fraktionen zufrieden geben, Widerspruch wird nicht mehr laut.

Dezernent Markus Fischer. Foto: RBK

Was war mit den Zahlen los?

Allerdings will der Ausschuss doch noch genau wissen, wie es dazu kommen konnte, dass der Kreis über Wochen hinweg falsche Corona-Zahlen gemeldet hatte. Markus Fischer, Gesundheitsdezernent und Leiter des Lagezentrums, wiederholt die Gründe, die er zuvor den Medien dargelegt hatte: Ursache sei eine Umstellung des Meldesystems der Labore gewesen, in Kombination mit technischen Ausfällen, personellen Unterbesetzungen und extrem hohen Fallzahlen.

Zwei Nachfragen des SPD-Fraktionschefs weicht Fischer aus. Zorn will wissen, ob die Abweichungen der gemeldeten von der realen Inzidenz in Rhein-Berg besonders hoch gewesen sei. Dazu lägen ihm keine Erkenntnisse vor, antwortet Fischer.

Tatsächlich sind Abweichungen von fünf bis zehn Prozent bei hohen Fallzahlen die Regel, weil häufig Fälle des Vortages zurückgebucht werden mussten. Der Rheinisch-Bergische Kreis hatte die reale Lage im April jedoch um bis zu 60 Prozent unterzeichnet und Fälle um bis zu zwei Wochen zurückgebucht – was das Bürgerportal früh mit tagesaktuellen Grafiken öffentlich gemacht hatte.

Zudem fragt Zorn, ob die falschen Zahlen für Entscheidung über Lockerungen der Corona-Maßnahmen maßgeblich waren. Hier bleibt Fischer allgemein: vor einer Lockerung müsse der jeweilige Schwellenwert ja fünf Tage lang unterschritten werden, daher führe nicht jede fehlerhafte Abweichung zu einer Konsequenz.

„Das wird uns nicht wieder passieren“

Tatsächlich waren die größten Abweichungen zwischen offizieller und realer Inzidenz ausgerechnet in einer Phase aufgetreten, als sich die Inzidenz im Bereich der für die Öffnung von Schulen und Geschäften wichtigen Schwellenwerte 165 und 150 bewegte. Ein Beispiel: laut offizieller Daten sank die Inzidenz bereits am 21. April unter 150, die korrigierten Daten zeigen jedoch, dass dies tatsächlich erst am 30. April der Fall war.

Fischer räumte ein, dass der Verzug bei der Erfassung der Fälle „ein großes Desaster“ war, mit gravierenden Auswirkungen. Allerdings habe das Lagezentrum die Daten seit gut zwei Wochen wieder im Griff, technisch und personell. Es sei guten Mutes, „dass uns das in dieser Form nicht wieder passieren wird.“

Im Kreishaus sind auch das Lagezentrum des Gesundheitsamtes und der Krisenstab angesiedelt. Foto: Thomas Merkenich

Die strukturellen Probleme im Kreishaus

Offen bleibt am Ende der Sondersitzung die Frage, wie es um die Stabilität der Kreisverwaltung unter Santelmanns Führung insgesamt steht. Wie zuvor Vertreter der SPD und FDP weist Peter Tschorny (Die Linke) noch einmal auf die strukturellen internen Probleme hin. Offenbar gebe es bei den Personalabläufen große Defizite, die sich auf die Mitarbeiterzufriedenheit deutlich auswirkten.

Werdel sae zu, dass diese Themen, die weit über die Tagesordnung der Corona-Sondersitzung hinausgingen, in Zukunft gründlich analysiert und aufgearbeitet werden: „Wir werden in Ruhe darüber sprechen – aber jetzt haben wir erst einmal eine Krise zu bewältigen.“

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Journalist, Volkswirt und Gründer des Bürgerportals. Mail: gwatzlawek@in-gl.de.

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1 Kommentar

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  1. Es mag ja so sein , dass ein Corona-Befall zunächst als harmlos eingestuft wird, dann aber über die Aussage, „es ist doch schlimmer“ bis hin zu einem bisher 4-wöchigen Ausfall gehen kann. Pflichtbewusst aber hätte Santelmann schon am Beginn seiner Infektion, die sich ja da bereits bei sehr vielen anderen Corona-Kranken später als durchaus schlimmer und länger andauernd herausgestellt hatte, die Krisenbewältigung sichern müssen. Den Krisenstab trotzdem stillzulegen war geradezu konterkarierend, wie dessen positives Wirken nach der Wiederbelebung zeigt.

    Zurecht stellen SPD und FDP Santelmann an den Pranger, weil dessen unverantwortliches Handeln große Gefahr in den Kreis brachte. Die Suspendierung Dr. Werdels von der Aufgabe des Corona-Krisenmanagements bei eigener Infektion lässt auf persönliche Animositäten schließen oder auf Selbstüberschätzung. Ersteres liegt nahe, da Santelmann scheinbar schon Monate oder länger nicht konform mit einem Teil des Personal ging.

    Die Mehrheit im Kreistag aber hält sich zurück. Man mag einer These aufgesessen sein, schon mal für den Bund zu üben, was ohnehin einer Hybris entspräche. Sehr auffällig sind solche Aussagen wie „Es sind sicher Fehler gemacht worden“ der Grünen Ehren mit dem Hinweis, es gäbe ja keine „Blaupausen“ für solch eine Krise. Das klingt, wie wenn ein Ehepaar die scheinbar unerzogenen Aktivitäten seines Kindes mit den Worten „Für Kindererziehung gibt es eben keine Lehre“ entschuldigen will – vielleicht auch im Sinne der oben erwähnten „Übung“.

    Dass die CDU äußerst zurückhaltend mit Santelmann umgeht, ist normal und lange Übung, weil die eigenen Reihen geschlossen sein müssen, koste es die Bevölkerung, was es wolle. Auch Pakendorf mag sich nicht „Nestbeschmutzer“ nennen lassen und geht ebenso wie Ehren nicht auf wichtige Einzelheiten ein. Erstmal vertagen, dann ist Gras gewachsen, alles wird nicht so heiß gegessen wie es gekocht ist usw., das „mir san mir“, das im Hintergrund klingt, lässt Bayern im RBK aufleben – wir aber sprechen hier einen anderen Slang!

    Ist Santelmann so krank, das er nicht mal eine Stellungnahme schreiben lassen kann, hat man ihm einen Maulkorb verpasst, ist er sprachslos ob der eigenen Nichtleistung, oder sucht er bereits nach neuen Positionen? Denn dass er sich nicht im Kreishaus halten kann dürfte selbst ihm inzwischen klar sein.